Banfiglioli Headquarter, Peter Pichler Architecture, Bologna
#architektur

Eine Raumfähre ist gelandet

Das neue Hauptquartier des italienischen Elektromotoren-Herstellers Bonfiglioli in Bologna ist Science-Fiction-Architektur in Reinform. Sein futuristisches Aussehen verdankt es einem plissierten Aluminiumnetz an der Gebäudehülle.

Form folgt Licht. So in etwa könnte man den berühmten Designleitsatz in der Architektur abwandeln, um den Entwurf für das neue Headquarter von Bonfiglioli in der Nähe von Bologna zu beschreiben. Die Form des Gebäudes richtet sich nach der Sonneneinstrahlung und soll sowohl den Lichteintrag als auch die klimatischen Bedingungen im Inneren optimieren. „Als Reaktion auf die Sonnenlichtverhältnisse haben wir das Dach geneigt und so die Nordfassade des Gebäudes vergrößert, um die Arbeitsplätze mit möglichst viel indirektem Licht zu versorgen“, erklärt Architekt Peter Pichler die Idee dahinter. „Dadurch wird die südseitige Fassade verkleinert und der Raumkomfort erhöht. Die Geometrie des Gebäudes zelebriert das indirekte Nordlicht.“

Bonfiglioli Headquarters, Bologna, Peter Pichler Architecture
Der neue Hauptsitz des Elektromotoren-Herstellers Bonfiglioli in Bologna verbirgt sich hinter einem plissiertem Aluminiumvorhang.

Das Aluminiumnetz filtert das grelle Licht und erinnert an die Metallspäne, die täglich bei der Produktion im Werk anfallen.

Peter Pichler, Architekt

Die verkleinerte Südfassade und das Dach sind mit einem plissierten Aluminiumnetz verkleidet, das dem Gebäude ein maschinelles Antlitz verleiht und zudem eine wichtige Funktion erfüllt. „Das Aluminiumnetz filtert das grelle Licht und schafft so eine komfortable Arbeitsumgebung. Zugleich ist es eine Referenz an die Metallspäne, die täglich bei der Produktion im Werk anfallen“, beschreibt Pichler Idee und Funktion der zweiten Gebäudehülle. 

Ein futuristischer Kubus am vorstädtischen Acker

Bonfiglioli, muss man dazu wissen, ist ein italienischer Hersteller von Getriebemotoren und Antriebselektronik. Mit dem monolithischen Neubau in Calderara di Reno, nordwestlich von Bologna, hat das Unternehmen einen neuen Hauptsitz bekommen, der als futuristischer Kubus in den flachen, vorstädtischen Äckern der Emilia Romagna gelandet ist. 

Bonfiglioli Headquarters, Bologna, Peter Pichler Architecture
Science-Fiction-Architektur: Das Exoskelett des Neubaus und die schuppige Metallhülle lassen an die Raumfahrt denken.

Mit seiner metallisch-undurchdringlichen Hülle hat er etwas von einer abgekapselten Raumfähre. Eine, die zwar niemals ins All fliegen wird, aber nach außen hin mindestens genau so viel technische Innovation vermitteln soll wie die bemannte Raumfahrt. Ein Hightech-Feuerwerk, das den industriellen Rand der mittelalterlichen Stadt mit einer unübersehbaren Landmarke versieht.

Unser Ziel war es, ein offenes Gebäude zu schaffen, das Menschen verbindet und gleichzeitig einen sehr radikalen Ansatz verfolgt, im Sinne der Nachhaltigkeit und einer intelligenten Geometrie.

Peter Pichler, Architekt

Im Inneren dieser Raumfähre gilt das Gesetz der maximalen Flexibilität, was die Bespielbarkeit und die Anpassungsfähigkeit der Räume angeht. Ein Exoskelett an der Fassade bildet das Tragwerk des Gebäudes und sorgt dafür, dass die Arbeitsflächen im Inneren offen und säulenfrei sind. Damit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch schnellen Zugang zu begrünten Außenflächen haben, gibt es sechs Einschnitte im Dach, die Terrassen vom dritten bis zum obersten Stockwerk bilden.

Bonfiglioli Headquarters, Bologna, Peter Pichler Architecture
Alu-Vorhang auf: Auch die sterile Umgebung im Inneren zahlt auf das High-Tech-Narrativ ein.

Das Architekturbüro verfolgt dabei eine zeitgemäße Arbeitsplatzgestaltung nach den Prinzipien von New Work. Pichler dazu: „Unser Ziel war es, ein offenes Gebäude zu schaffen, das Menschen verbindet und gleichzeitig einen sehr radikalen Ansatz verfolgt, im Sinne der Nachhaltigkeit und einer intelligenten Geometrie.“

Annähernd energieautarker Betrieb

Was den radikal nachhaltigen Ansatz betrifft, so verweist man auf den annähernd energieautarken Betrieb des Gebäudes, der durch das Kürzel NZEB (nearly Zero Energy Building) gekennzeichnet ist. Verantwortlich dafür sind erneuerbare Energiequellen wie Geothermie und eine zentrale Photovoltaikanlage mit einer Leistung von 3 Megawatt Peak, die den gesamten Industriestandort speist. Das neue Headquarter ist nämlich der letzte Baustein eines größeren Entwicklungsgebietes namens EVO, der bis dato größte Industriestandort von Bonfiglioli in Italien.

Bonfiglioli Headquarters, Bologna, Peter Pichler Architecture
Im dritten Stockwerk kreuzt eine Brücke den zentralen Innenhof.

Bonfiglioli Headquarters, Bologna, Peter Pichler Architecture
Skulpturale Stahltreppen sind ein Hingucker in der Galeriegeschossen.

Die Bebauungstypologie des Masterplans sollte sich auch im neuen Headquarter widerspiegeln. Als wichtiges Gestaltungselement gilt hier der zentrale Innenhof, der intensiv begrünt ist und die natürliche Ventilation durch den sogenannten Kamineffekt begünstigt. Dies bezeichnet den natürlichen Luftstrom, der entsteht, wenn warme Luft aufsteigt und kalte Luft nachströmt, um sie zu ersetzen.

Graue Energie im grauen Kubus

Über die sogenannte graue Energie, also jene, die bei der Herstellung von Baustoffen und bei der Errichtung des Gebäudes anfällt, macht das Büro keine Angaben. Was beim neuen Bonfiglioli Headquarter mit freiem Auge zu sehen ist, ist eine Menge Stahl – zur Lastabtragung am außenliegenden Tragwerk ebenso wie bei den skulpturalen Treppen im Inneren.

Bonfiglioli Headquarters, Bologna, Peter Pichler Architecture
Das Tragwerk besteht aus einem Exoskelett, das die innenliegenden Arbeitsflächen säulenfrei und flexibel bespielbar macht.

Mittlerweile ist die graue Energie, im Englischen unter der Bezeichnung „embodied carbon“ bekannt, zu einem wichtigen Bestimmungsfaktor des nachhaltigen Bauens geworden. Einige Architekturbüros, hauptsächlich in Skandinavien, geben daher neben dem Energieverbrauch im täglichen Betrieb auch die Menge an CO2 an, die bei der Errichtung eines Gebäudes entstanden ist. Auf diese Weise sind ausufernde Ressourcenschlachten auf Anhieb als solche erkennbar.

Eine wunderschöne Aussicht

Unter dem radikalen Nachhaltigkeitsansatz des spacigen Headquarters firmieren neben dem energieeffizienten Betrieb auch die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft. Diese sieht man in der Flexibilität der Arbeitsflächen und der Adaptierbarkeit der Räume umgesetzt. 

Bonfiglioli Headquarters, Bologna, Peter Pichler Architecture
Das futuristische Bürogebäude soll den Mitarbeitern eine gesunde Arbeitsumgebung bieten.

Auch die Schaffung einer „gesunden Arbeitsumgebung in der postpandemischen Ära“ wird betont. Die zahlreichen begrünten Außenflächen, die den Mitarbeitern zur Verfügung stehen, würden die Aufenthaltsqualität enorm erhöhen. „Und zugleich hat man diese wunderschöne Aussicht auf die Kirche von San Luca und die Stadt Bologna“, ergänzt Pichler.

Ob die Besucher der Wallfahrtskirche von San Luca das Kompliment der schönen Aussicht zurückgeben, ist nicht bekannt. Früher oder später wird man sich aber an den silbernen Monolithen, der im Feld gelandet ist, gewöhnen.

Text: Gertraud Gerst
Fotos: Gustav Willeit

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