Ein Design zum Anbeißen
Das Designbüro Arch&Type hat Chocolatier Ben Johnson einen Traum erfüllt. In Buffalo, New York, schufen die Planer das Blue Table Chocolates, eine Manufaktur samt Verkaufsraum. Und die Eichenholzdecke wirkt wie aus Schokolade gegossen.
Das Auge isst mit, heißt es. Doch zum Glück ist das nur metaphorisch gemeint. Denn würden optisch aufgenommene Kalorien tatsächlich zum Hüftgold beitragen, hätten die Planer des Designbüros Arch&Type jüngst ordentlich Gewicht zugelegt. Möglicherweise hätten Seth Amman und Adam McCullough sogar Diabetes bekommen, so intensiv beschäftigten sie sich mit den Interior-Designs von exklusiven Schokoladen-Manufakturen, Pralinen-Geschäften und „süßen Kulturbauten“, wie dem Home of Chocolate von Lindt oder dem „Shrine of Everyman“.
Viele Wünsche, wenig Budget
Die Palette an Inspirationen reichte von erwartbarer Kakaobohnen-Kunst bis hin zu durchdachten Designelementen wie reflektierenden Wasserbecken, die an glänzende Ganache erinnern. Doch so geschmackvoll die Interieurs auch immer waren, die sich Arch&Type ansahen: Im Laufe der Recherchen wurde klar, dass für ihren Kunden eine ganz individuelle Lösung gefunden werden musste. Denn Chocolatier Ben Johnson hatte nur ein beschränktes Budget, dafür aber eine Menge Wünsche.
Zum einen galt es auf 75 Quadratmeter nicht nur eine Werkstatt für Workshops, sondern auch einen Shop unterzubringen. Zum anderen sollte das neue Blue Table Chocolates in Larkinville, einem Stadtteil von Buffalo im US-Bundesstaat New York, natürlich alle Schokostückerln spielen und Lust auf eben jene machen. So wünschte sich Auftraggeber Ben Johnson zum Beispiel maßgefertigte verspiegelte Displays, in denen seine süßen Kreationen wie Kunst in einer Galerie präsentiert werden. Gleichzeitig wollte er, dass das Interior-Design jene Emotionen widerspiegelt, die nur der Genuss von Schokolade hervorrufen kann: Wärme, Geborgenheit, Erinnerungen an eine glückliche Kindheit und ein kleines Bisschen (sic!) Luxus und Dekadenz.
Warum in die Ferne schweifen …
Statt sich an dieser Aufgabe die Zähne auszubeißen, sahen sie die Planer als spannende Herausforderung. Ja sogar als Chance. „Im Endeffekt haben uns die finanziellen Einschränkungen neue kreative Wege eröffnet, die wir sonst vielleicht nicht gegangen wären“, sagt Adam McCullough. Ihr Weg, um aus der budgetären Not eine süße Tugend zu machen? Die Suche nach alternativen, lokalen Ressourcen für die Umsetzung ihrer Interior-Pläne. Fündig wurden sie nicht nur bei örtlichen Handwerkern und Bauunternehmern, sondern auch an der University at Buffalo. Und: in ihrer eigenen Familie.
So entstanden die Arbeitsplätze für die Manufaktur in Zusammenarbeit mit Ammans Vater Mark, einem erfahrenen Tischler. Er und Adam McCullough schufen aus massiven Brettern maßgefertigte Tische für die Pralinenherstellung. Buffalo Niagara Weldworks, örtliche Meister der Metallverarbeitung, steuerten ihre Kunstfertigkeit für die verspiegelten Schalen und Messingdetails bei, die die Schokomeisterwerke im Laden präsentieren. Und Seth Amman arbeitete mit seinen Kollegen und Studenten von der School of Architecture and Planning an der Universität von Buffalo zusammen, um die parametrisch entworfene Decke zu modellieren.
Handwerk trifft auf Robotertechnik
Für die kaskadenförmige goldene Decke setzten Ammans Studenten im digitalen Uni-Fertigungslabor SMART (Sustainable Manufacturing and Advanced Robotic Technologies) eine CNC-gesteuerte Oberfräse ein. „Durch die Kombination handwerklicher und robotergestützter Techniken konnten wir die Effizienz und Detailgenauigkeit erhöhen“, erklärt McCullough. Seine Studenten waren zudem an der Montage beteiligt und an der Überprüfung der Feuerfestigkeit und der Umsetzung der städtischen Brandschutz-Vorschriften. „Das zeigt, wie wichtig ein multidisziplinärer Ansatz auch bei der Gestaltung solcher Ladenlokale ist.“
Modell für das ungewöhnliche Design der Decke stand übrigens ein Bild von ungehärteter, geschmolzener Schokolade. „Blue Table Chocolates“-Chef Ben Johnson zog es irgendwann im Laufe des Planungsprozesses aus der Schublade. Es zeigte einen seidig glänzendenFluss, der durch die Lichtbrechung auf der Schokoladenkristallisation golden schimmerte. Ursprünglich hatten Arch&Type ein nahezu nahtlose Spiegeldecke geplant. Doch als sie dieses Foto sahen, modellierten sie digital eine Decke aus CNC-gefrästen und bemalten Holzteilen, die die Studenten dann im Labor anfertigten. Das skulpturale Decken-Kunstwerk dominiert nun nicht nur den Verkaufsraum. Die üppige Oberfläche ist auch bereits von außen durch die Schaufensterfront zu sehen und lädt Passanten ein, hereinzukommen.
Weniger Kosten, mehr Platz
Neben der Decke wurden auch andere Aspekte des Entwurfs im Laufe des Planungsprozesses überarbeitet und tragen jetzt ebenfalls deutlich zur markenkonformen Gesamtanmutung ein. Und: zur Kosteneffizienz. So ersetzten Arch&Type zum Beispiel die Wand, die den Verkaufsbereich von der dahinter gelegenen Werkstatt trennt. Ursprünglich sollte sie nur aus Glas bestehen. Jetzt steht dort eine Ständerwand mit einem großen Fenster und einer rahmenlosen Tür samt Messingfuß. Die Tür ist passend zur Kalkfarbe der Wände gestrichen und fügt sich so nahtlos in den Raum ein. Dennoch wird durch das Fenster die Aufmerksamkeit auf den Werkstattbereich gelenkt, in dem Kurse und die Pralinen-Produktion stattfinden. Die ursprünglich für die Westwand der Schokoladenwerkstatt vorgesehene Verkleidung wurde durch vier weitere maßgefertigte Arbeitstische ersetzt. „Dadurch können nun auch Workshops für größere Gruppen veranstaltet werden“, so Ben Johnson.
Durch die gute Strukturierung nutzten die Planer die insgesamt doch recht kompakte Grundfläche optimal aus. Zur warmen, großzügigen Atmosphäre trägt auch die Farb- und Materialpalette bei. Das matte, helle Eichenholz der Einrichtung trifft auf dezente Kalkfarbe an den Wänden, großkörnigen Beton und verspiegeltes Metall. Messing-Akzente entlang der Wandsockel verbinden sich mit der parametrischen Flussdecke. „Zusammen verschmelzen diese Elemente zu einer Art Überschuss-Qualität, die sich zu einem erlebten Ganzen ergänzen. Natürlich dann und wann unterbrochen durch den sinnlichen Akt, in einen Trüffel zu beißen, der langsam schmilzt und sein ebenso ,überschüssiges‘ Geschmacksprofil offenbart“, erklärt Arch&Type-Designer Seth Amman.
Wiederholungstäter am Werk
Die Anpassung der Design- und Baupraktiken führten – trotz des begrenzten Raums und des noch begrenzteren Budgets – zu einem Raum, der nach seiner Fertigstellung so viel mehr ist als die Summe seiner Teile. Möglich machte das nicht nur die Bereitschaft der Planer, neue kreative Wege zu gehen. Auch Auftraggeber Ben Johnson war offen für untypische Methoden und Mitarbeiter. Hilfreich dabei war sicherlich, dass er bereits in der Vergangenheit mit Arch&Type zusammengearbeitet hatte, die schon seine erste kleine Werkstatt samt eigenem Laden gestaltet hatten.
Wie Location Nummer 1 ist auch die neue Manufaktur-Shop-Kombo an der Seneca Street wieder ein für Buffalo typisches Projekt. Obwohl es keine klassischen Elemente der traditionellen, städtischen Art-déco-Architektur aufweist, gehört es unverkennbar in die „Queen City“ am Lake Erie. Denn Buffalo steht vor allem für etwas, für das auch Arch&Type eintreten: kreative Strategien mit Bautraditionen zu verbinden und durch die Nutzung lokal vorhandener Ressourcen lebendige Nachbarschaften zu fördern.
Das Auge isst kalorienfrei mit
Im Falle des neuen Blue Table Chocolates darf sich die Nachbarschaft jedenfalls über ein geschmackvolles Ladenlokal freuen, bei dem das Auge sehr gerne mitisst. Kalorienfrei natürlich.
Im Endeffekt haben uns die finanziellen Einschränkungen neue kreative Wege eröffnet, die wir sonst vielleicht nicht gegangen wären.
Adam McCullough, Architekt und Gründer von Arch&Type
So kann man dann getrost die eine oder andere Praline mehr vernaschen …
Text: Daniela Schuster
Bilder: Kim Smith Photo