Das Bürodorf im Wald
Das neue Headquarter für eine brasilianische Investment-Gruppe hat einen radikalen Anspruch – bei der Nachhaltigkeit ebenso wie in Sachen postpandemischer Arbeitswelt. Der preisgekrönte Entwurf Bioma XP skizziert den klimaneutralen Arbeitsplatz von morgen.
In den Städten wird es heiß. Laut jüngstem Bericht des Weltklimarates IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) zählt die Hitze zu den größten Bedrohungen des menschengemachten Klimawandels. Bei unzureichenden Gegenmaßnahmen werden manche urbane Gegenden der Erde schon bald unbewohnbar sein, warnen die Experten. Die brasilianische Investmentgesellschaft XP Inc. plant ihr neues, klimaneutrales Headquarter deshalb nicht in der Metropole Sao Paolo, sondern in einem naturnahen Park außerhalb der Stadt. Die Visualisierungen des Projektes Bioma XP suggerieren eine schöne neue Arbeitswelt mitten im subtropischen Regenwald.
Die brasilianische Veranda
Der gemeinsame Entwurf der Architekturbüros Studio MK27 und Estudio Guto Requena umfasst mehrere Kubaturen, die in Größe und Form unterschiedlich sind. Langgestreckte Trakte, die sich im rechten Winkel überkreuzen, bilden das Hauptgebäude. Zusätzlich punktieren runde Volumina die 700.000 Quadratmeter große Anlage, über deren Hügel sich ein dichter Wald erstreckt.
Das Design des langgestreckten linearen Raumkonzeptes zielt darauf ab, die Durchlässigkeit zwischen Innen- und Außenräumen zu verstärken.
Studio MK27 und Estudio Guto Requena, Architekturbüros
Die dreigeschossigen Trakte in klimaneutraler Holzbauweise sind transparent gestaltet und verbinden alternierend Indoor- und Outdoorbereiche. Die Architekten bezeichnen die Typologie als Neuinterpretation der traditionellen und modernen brasilianischen Veranda. „Das Design des langgestreckten linearen Raumkonzeptes zielt darauf ab, die Durchlässigkeit zwischen Innen- und Außenräumen zu verstärken“, erklären die Architekten. „So werden Natur und Technologie zur täglichen Orientierung für Mitarbeiter, Kunden und Besucher.“
Ein Ökosystem zum Leben und Arbeiten
Die räumliche Großzügigkeit und die loungige Atmosphäre lassen mehr an eine Luxusvilla als ein Büro denken. Selbstfahrende Elektrobusse bringen die Mitarbeiter von einem Unternehmensbereich zum anderen, und auf den Wiesen dazwischen praktizieren sie Yoga und andere Sportarten. Spielende Kinder gehören ebenso zum Ortsbild wie jede Menge Radfahrer und Fußgänger.
Das Gemüse, das es in der Kantine zu essen gibt, wächst gleich vor der Tür in langgestreckten Hochbeeten. Kleine, parametrische Holzkubaturen, die auf dem Gelände verstreut sind, dienen als flexible Arbeitsräume. Im Bioma XP verschmelzen Architektur und Landschaft zu einer Einheit, „um die Kreativität, das Gemeinschaftsgefühl und die Verbindung mit der Natur zu fördern“.
Ein postpandemisches Szenario
Eines fällt in diesem Office-Ökosystem besonders auf: Der Arbeitsalltag selbst rückt in den Hintergrund. Stattdessen dient das Headquarter mehr dazu, Meetings und Fortbildungen zu hosten, Infrastruktur für die Forschung bereitzustellen und für das leibliche und soziale Wohl der Mitarbeiter zu sorgen. Ihre tägliche Arbeit erledigen sie im Home-Office, im Headquarter hingegen tauschen sie sich mit andern aus oder nehmen an Sportkursen teil.
So sieht die Vision der Architekten für die Arbeitswelt von morgen aus. Die Bauherrschaft hat in der Ausschreibung dazu aufgefordert, ein Szenario zu entwickeln, das die postpandemische Arbeitswelt skizziert. Anstatt wie in vielen Unternehmen zu einem Nine-to-five-Alltag im Büro zurückzukehren, möchte man mit dem nachhaltigen Biom künftigen Entwicklungen vorausgreifen.
Eine Brücke zur Welt
Ein eleganter Brückenbau aus Holz in der Talsohle des Geländes überspannt einen Teich und dient als architektonisches Bindeglied. Hier finden Veranstaltungen, Seminare und Video-Aufzeichnungen statt. „Der schwebende Bau verbindet nicht nur Fußwege miteinander, er ist auch verbindendes Element zwischen den Aktivitäten des Unternehmens und der Welt.“
Der schwebende Bau verbindet nicht nur Fußwege miteinander, er ist auch verbindendes Element zwischen den Aktivitäten des Unternehmens und der Welt.
Studio MK27 und Estudio Guto Requena, Architekturbüros
Als eines von vier „Mega Future Pojects“ war Bioma XP Finalist bei den MIPIM-Awards 2021, ebenso wie beim World Architecture Festival 2022.
Ein Plädoyer für den Wald
Die Idee, ein klimaneutrales Headquarter mitten im Regenwald zu errichten, hat für viel Aufsehen gesorgt. Der spektakuläre Entwurf kann hoffentlich die Botschaft vermitteln, wie wichtig Wälder für diesen Planeten sind, und wie sehr sie schon jetzt durch Abholzung, Brände und Klimaerwärmung bedroht sind.
Bei einem Anstieg der Temperaturen von zwei bis drei Grad könnten sich bis zum Jahr 2050 rund 60 Prozent seiner ursprünglichen Ausdehnung in eine trockene Savanne verwandeln, rechnet der Weltklimarat vor. Dann wäre das visionäre Bürodorf im Wald Geschichte.
Text: Gertraud Gerst
Visualisierungen: Studio MK27, Estudio Guto Requena