Loggia über Loggia
Auf den ehemaligen Siemensgründen in Wien Penzing ist ein hochverdichtetes Wohnviertel entstanden. Die Bebauung Big PEN des Grazer Büros LOVE demokratisiert den Blick ins Grüne und bringt Italo-Flair in die Schönbrunner Nachbarschaft.
Ein probates Mittel gegen die enorm hohe Bodenversiegelung, wie sie in Österreich herrscht, ist die städtische Nachverdichtung. Dabei werden bereits bestehende Bebauungen aufgestockt oder freie Flächen genutzt, um die urbane Dichte zu erhöhen. Dies schont nicht nur die Ressource Boden, die vorhandene städtebauliche Infrastruktur wird durch die Nachverdichtung auch effizienter genutzt. So ist es auch bei der Überbauung der ehemaligen Siemensgründe in Wien Penzing geschehen, wo bis vor kurzem die verlassenen Büros des deutschen Technologiekonzerns vor sich hindarbten.
Mit dem Entwicklungsprojekt schuf der vormals staatliche Bauträger Buwog 512 Wohneinheiten, verteilt auf sechs Bauteile. Der größte H-förmige Wohnbau ist mittlerweile voll bezogen. Mit seinen zehn Geschossen liegt er knapp über der Hochhausgrenze. Trotz der hohen Dichte im Quartier habe man laut Bauträger sogar Boden entsiegelt und 600 Quadratmeter an zusätzlichen Grünflächen geschaffen, die allesamt öffentlich zugänglich sind.
Maximierter Ausblick
Vier der sechs Baukörper von Kennedy Garden – der Quartiersname kommt von der nahe gelegenen Kennedy-Brücke – wurden 2023 nach den Plänen des Grazer Büros LOVE architecture and urbanism fertiggestellt. Mit ihrem Konzept Big PEN setzten sie dabei die enorme Dichte um, die bereits vom Bebauungsplan vorgegeben war.
„Da unserer Ansicht nach gerade die innerstädtische – gerne auch sehr starke – Nachverdichtung ein wichtiger Erfolgsfaktor für eine öko-verträgliche und damit nachhaltige Zukunft darstellt, haben wir uns der Aufgabe sehr gerne angenommen“, erklärte Architekt Mark Jenewein von LOVE gegenüber der Plattform austria-architects.com.
Die innerstädtische – gerne auch sehr starke – Nachverdichtung ist ein wichtiger Erfolgsfaktor für eine öko-verträgliche und damit nachhaltige Zukunft.
Mark Jenewein, LOVE architecture and urbanism
Der H-förmige Bauteil Magnolia kommt mit seiner aufgelösten Fassade sehr kleinteilig daher. Durch die axial gedrehte Ausrichtung der Loggien und Terrassenflächen wird das Möglichste an Ausblick und Privatsphäre herausgeholt. „Unsere Idee war, dieses Bauwerk so stark zu individualisieren, dass nicht nur jede Wohnung, sondern jedes Zimmer über einen eigenen Freiraum verfügt“, so Jenewein.
Spagat zwischen Dichte und Individualität
Mit diesen sogenannten „Garden Frames“ soll der Spagat zwischen Bewohnerdichte und Individualität geschafft werden. So wie Magnolia sind auch die anderen Bauteile nach Blumen benannt. Wohl aus dem Grund, dass der Blick auf etwas Blühendes hier demokratisch verteilt ist.
Unsere Idee war, dieses Bauwerk so stark zu individualisieren, dass nicht nur jede Wohnung, sondern jedes Zimmer über einen eigenen Freiraum verfügt.
Mark Jenewein, LOVE architecture and urbanism
So manche Bewohnerinnen und Bewohner der oberen Geschosse im Haupthaus haben freie Sicht auf Schloss Schönbrunn, das nur wenige Hundert Meter entfernt liegt.
Angesichts dieser hohen Dosis an privaten Außenräumen könnte man von einer „Terrassenstadt“ sprechen. In Anlehnung an die Gartenstadt, die als städtebauliches Leitbild der Moderne die Siedlungsentwicklung im vergangenen Jahrhundert maßgeblich geprägt hat. Der ökologische Imperativ der Nachverdichtung verlagert die Gartenstadt heute in die Vertikale – mit Minigärten auf den gestapelten Terrassen.
Zäsur im Straßenbild
Die einzelnen Baukörper des Quartiers sind von einer gestalterischen Eigenständigkeit geprägt. Das Architekturbüro verweist hier auf die jeweiligen „örtlichen Gegebenheiten einerseits und das zugrundeliegende Marketingkonzept andererseits“ und erklärt: „Entstanden ist ein Ensemble aus Einzelgebäuden, die dennoch eine geschlossene Einheit bilden.“
Im städtebaulichen Kontext von Alt-Penzing finden sich gut erhaltene Häuserzeilen aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert. Der Eingang in das neue Stadtquartier an der Penzinger Straße 76 markiert eine Zäsur: An die historischen Häuser schließt eine Fassade aus perforiertem Wellblech an. Den Bewohnern dahinter dient sie als eine Art Paravent zur belebten Straße hin. An manchen Stellen lässt er sich öffnen, und zwar auf dieselbe Weise, wie die historischen Fensterläden von Gründerzeithäusern.
Italienisches Lebensgefühl in Penzing
Der öffentliche Durchgang in den hinteren Hof, wo ein Park mit Spielplätzen für Aufwertung im Grätzel sorgt, weckt Urlaubsgefühle. „Das südliche Entreegebäude in den Park erinnert an die historischen Stadtzentren Italiens: Jalousien, die farbenfroh über den Fenstern auskragen, und Balkone, die scheinbar auf Tuchfühlung gehen, schaffen eine lebendige und kommunikative Straßenszenerie“, so LOVE.
Fehlen nur noch die Wäscheleinen, die im Zickzack den Luftraum zwischen den Häuserfronten durchkreuzen. Das hochverdichtete Leben in der Stadt ist dort seit langer Zeit gelebter Alltag. Es gibt keinen Grund, warum das nicht auch in Penzing funktionieren kann.
Text: Gertraud Gerst
Fotos: Stefan Leitner