BIGs neues Headquarter
Geniestreich oder CO2-Sünde? An vielem, was Bjarke Ingels baut, scheiden sich die Geister. So auch am neuen Hauptsitz BIG HQ des dänischen Stararchitekten in Kopenhagens neuem Stadtviertel Nordhavn.
Das neue Headquarter des dänischen Stararchitekten Bjarke Ingels ist ein weiterer visueller Ankerpunkt in Kopenhagens neu entwickeltem Stadtgebiet Nordhavn. Es liegt an der Spitze des Hafenkais Sundmolen und ragt als Solitär in die Meerenge Öresund hinein. Eine sehr exponierte Lage, die durch die Alleinstellung kein bedachtsames Einfügen in eine gegebene Struktur erforderte. Das Auffallendste an dem Gebäude, das den Namen BIG HQ trägt, ist der Sichtbeton sowohl im Außen- als auch im Innenbereich. Aufeinander gestapelte, kolossale Betonfertigteile bilden das Tragwerk des Gebäudes und schaffen in der Fassade eine Art Schachbrettmuster aus Fensterbändern und massiven Flächen.
Viel Beton und Stahl
Eine Stahltreppe verbindet im Inneren alle Ebenen miteinander und hat den Effekt einer räumlichen Installation. Die Geschosstreppen springen – keiner offensichtlichen Symmetrie oder Ordnung folgend – von einem Stockwerk zum nächsten und lassen den Betrachter bisweilen an der eigenen Wahrnehmung zweifeln. Die Inspiration dafür lieferten laut Projektbeschreibung die Carceri d’invenzione (imaginäre Gefängnisse), eine Serie an Radierungen des italienischen Künstlers Giovanni Battista Piranesi, der im 18. Jahrhundert die perspektivischen Täuschungen von Maurits Cornelius Escher vorwegnahm.
Während das neue BIG Headquarter mit den großen Lufträumen und der zentralen Treppenerschließung anderen zeitgenössischen Bürogebäuden gleicht, geht man in Sachen Materialität einen anderen Weg. Statt möglichst viel Holz in der Konstruktion und im Innenausbau einzusetzen, sieht man großteils Betón Brut und eine dazugehörige brutalistische Ästhetik. Wo andere biophile Wohlfühloasen ohne Ende schaffen, zitiert Ingels Gefängnisfantasien. Ein Anachronismus, der durchaus Witz hat.
Mit seiner monumentalen Architektur und der rohen Betonfassade greift man thematisch das industrielle Erbe des Hafengebietes auf, wo die einstigen Betonsilos heute zu Wohn- oder Bürobauten umfunktioniert sind.
Stadtregierung lehnte den Entwurf ab
Doch von der Idee bis zur Umsetzung des Bauvorhabens war es ein steiniger Weg. Die Stadtregierung von Kopenhagen hatte die Pläne des dänischen Stararchitekten anfangs als „historisch hässlich“ abgelehnt. Es wurde sowohl die ästhetische Qualität des Entwurfs bemängelt, als auch das Fehlen eines dezidiert nachhaltigen Designs. Denn wenn es ein dänisches Aushängeschild gibt, dann ist es innovatives Design, das ästhetisch und ökologisch wegweisend ist.
Die Welt wird niemals vollständig aus Holz, Stampflehm und Myzel gebaut sein.
Kai-Uwe Bergmann, Partner bei BIG
Außerdem dürfte der rein mineralische Neubau kein besonders gutes Signal im Hinblick auf die 2025 anstehende Klimaneutralität der Stadt Kopenhagen gewesen sein. In der hiesigen Architekturszene entbrannte nach dem Vorfall eine heftige Debatte darüber, wer über Bauprojekte entscheiden sollte. Dass der Entwurf am Ende doch durchging, liegt laut einem Artikel des dänischen Architekturzentrums daran, dass das Büro BIG entsprechende Nachweise zur Nachhaltigkeit des Gebäudes lieferte und die Visualisierungen entsprechend tunte.
Mehr Grün in der Visualisierung
Statt der anfangs reduzierten Darstellung auf weißem Grund zeigten die Bilder fortan eine Vogelschar am Himmel, Familien mit kleinen Kindern am Pier, grüne Bäume im Eingangsbereich und Pflanzen, die in einer etwas bemühten Geste von den Terrassen des Gebäudes hängen. Die Nachhaltigkeit belegte man durch eine angestrebte DGNB-Zertifizierung in Gold, die auf der Verwendung eines CO2-reduzierten Betons des Herstellers Unicon beruhte sowie auf der Nutzung von Geothermie und Photovoltaik.
Die Stadtpolitiker gaben sich damit zufrieden, doch die Wogen in der Architekturszene wollten sich nicht glätten. „Es ist wenig überraschend, dass dies den Beginn einer neuen Debatte um die Frage markierte: Wie sehr dürfen Architekten ihre Visualisierungen ausschmücken?“, stellte das Danish Architecture Centre fest.
Suche nach praktikablen Lösungen
Die Bauarbeiten sind mittlerweile fast abgeschlossen, das Bürogebäude soll noch in diesem Jahr offiziell eröffnet werden. Im Rahmen des UIA Weltkongresses im Sommer führte Bjarke Ingels höchstpersönlich durch die neuen Räumlichkeiten und erklärte das Konzept dahinter. Doch wann immer Bilder des kubischen Baus im Netz auftauchen, lässt die Kritik von jungen Architekten und Architektinnen nicht lange auf sich warten: „Sieht spektakulär aus, leider mit viel Stahl und Beton…“, heißt es etwa in einer.
Wir nutzen das BIG HQ auch, um nach Möglichkeiten zu suchen, wie wir die CO2-Emissionen in Beton und Stahl senken können.
Kai-Uwe Bergmann, Partner bei BIG
Kai-Uwe Bergmann, der Partner bei BIG ist, verwies in mehreren Kommentaren im sozialen Netzwerk LinkedIn auf die vielen Holzbauprojekte von BIG wie The Plus in Norwegen oder den neuen Terminal am Flughafen Zürich. Man dürfe sich allerdings keinen Illusionen hingeben: „Die Welt wird niemals vollständig aus Holz, Stampflehm und Myzel gebaut sein“, schreibt der Architekt. „Deshalb nutzen wir das BIG HQ auch, um nach Möglichkeiten zu suchen, wie wir die CO2-Emissionen in Beton und Stahl senken können. Im Hinblick auf das Bevölkerungswachstum braucht es praktikable Lösungen, die unsere planetaren Ressourcen im Gleichgewicht halten – Beton und Stahl werden in dieser Gleichung auch in Zukunft eine Rolle spielen.“
Der von BIG und Unicon gemeinsam entwickelte Beton läuft unter der Bezeichnung Uni-Green und soll bei der Herstellung rund 25 Prozent weniger CO2 verursachen als herkömmliche Betonarten. Auch wenn diese Reduktion skaliert betrachtet nicht der große Bringer für das Netto-Null-Ziel bis 2050 sein wird, so ist es zumindest ein Anfang. Denn die Klimakrise ist bis zu einem gewissen Teil in Beton gegossen.
Text: Gertraud Gerst
Fotos: Bjarke Ingels Group