Bloß kein Pomp
Mit dem Bauman Loft gelingt Nefa Architects eine gelungene Kombination aus Stil und smarten Lösungen. Dabei haben sie penibel darauf geachtet, kein einziges Russen-Klischee zu bedienen.
Die deutsche Sprache ist oftmals sehr entlarvend. Sie nutzt scheinbar unschuldige Redewendungen, um eine Bedeutung zu verschleiern, diese aber dennoch zu meinen. Gerade wenn es darum geht, Nationalitäten mit wenig schmeichelhaften Vorurteilen zu versehen, zeigt die Sprache ihre Macht.
Rassismus in der Sprach-Architektur
Dass diese Geschichte etwa nicht getürkt ist, belegt dieser Link zum zuständigen Architekturbüro. Ja, Sie haben richtig gelesen – der Satz besagt in einer Subebene, dass Türken gerne die Unwahrheit sagen. Wenn Ihnen das jetzt spanisch vorkommt, so dürfen wir versichern: Spanier sagen genauso gern die Unwahrheit wie Deutsche oder Österreicher. Genau so verhält es sich wohl mit russischen Kronleuchtern – sie hängen wohl nicht bloß in russischen Wohnstätten, die gerade erst bezogen wurden.
Womit wir nun auch schon dort sind, wo die Geschichte des Bauman Loft spielt: In Russland. Gerade das russische Volk verleitet uns offenbar zu vielen wenig schmeichelhaften Phrasen. Eine russische Installation ist wohl schlampig und gepfuscht. Russischer Pomp wiederum meint, kitschig und überladen.
Bloß kein Klischee erfüllen
Diese Tatsache ist eine, der das Studio Nefa Architects in Moskau mit der Sprache der Architektur auf ausgesprochen eindrucksvolle Art und Weise entgegentritt. Das wird in ihrem jüngsten Projekt – dem Bauman Loft in Moskau – offensichtlich. Dabei haben die Architekten in einem alten Backsteingebäude aus dem Jahr 1917 eine nur 53 Quadratmeter große Wohnung so renoviert, dass sie alle Stückerl spielt. Nur sicher kein einziges Russen-Klischee erfüllt.
Die betreffenden Räumlichkeiten waren ursprünglich Teil einer Teesortieranlage (ja, genau, russischer Tee …). Sie sollten in einen modernen Wohnraum umfunktioniert werden. „Die Bausubstanz ist ein hervorragendes Beispiel für Industriearchitektur“, so die Architekten. „Das hat uns auf Anhieb gereizt. Genauso wie der Umstand, dass wir auf sehr knappem Raum alles unterbringen mussten, was eine Wohnung eben benötigt.“
Platzzauber im Bauman Loft
So wurde zuerst einmal nach einer Option gesucht, wie man die Gesamtfläche künstlich vergrößern könnte. „Unsere Lösung bestand in der Einführung von Zwischenebenen unter Ausnutzung der Deckenhöhe von 4,3 Metern“, so die Architekten. Heißt: Eingang, Sofa und Küchenbereich befinden sich auf der untersten Ebene. Die zweite Ebene ist bis zur Höhe der Fensterbank angehoben und wird für das Schlafzimmer genutzt. Die dritte Ebene beherbergt Badezimmer und den Kleiderschrank.
Um im kleinen Raum dennoch Weite zu suggerieren, entwickelten die Planer ein Farbkonzept, dass eben diesen Effekt generiert. Die Architekten: „Das Farbschema des Projekts ist weiß mit blauen und schwarzen Akzenten.“ So würde einerseits Leichtigkeit entstehen und durch das starke Blau aber eine intensive perspektivische Wahrnehmung passieren.
Grafische Details zur Täuschung
„Zusätzlich haben wir mit grafischen Details, wie dem Rahmen der Schlafzimmertrennwand, dem Treppengeländer, der Beleuchtung und dem elektrischen Zubehör gearbeitet“, sagen die Macher. So wird der Blick entlang von logischen Linien geleitet und man „übersieht“ dabei, dass man sich eigentlich in einem einzigen Zimmerchen befindet.
Was uns zum, laut Architekten wichtigsten gestalterischen Akzent von Bauman Loft führt: eine verschiebbare Trennwand, die das Schlafzimmer vom restlichen Raum abtrennt. „Dabei haben wir strukturiertes Glas mit einem linearen Muster verwendet, das in einem multidirektionalen Schema kombiniert wurde. So erzeugen wir einen optischen Effekt, der nur sichtbar wird, wenn sich das Schiebeelement bewegt.“
Zur Erklärung: Wenn die beiden Fronten dann übereinander liegen, verändert sich das Muster der Wand. Wie bei einem Kaleidoskop, wenn man daran dreht.
Tatsächlich ist das Bauman Loft in all seinen notwendigen Funktionen voll funktionsfähig. Der Badebereich ist ausreichend groß, die Küche mit allen notwendigen Gerätschaften ausgestattet und dank maßgeschneidertem und beweglichem Esstisch sogar gästetauglich. Selbst ein geselliger Kinoabend kann hier veranstaltet werden – eine ausklappbare Leinwand macht’s möglich.
Bauman Loft könnte überall stehen
Und ganz abgesehen von der Finesse der einzelnen Details und den cleveren Baumaßnahmen – wie man sie heute oft in Tiny Houses findet – kann man sagen: Bauman Loft könnte ebenso in London oder New York stehen. Oder bedienen wir mit diesem Vergleich nun wieder nichts anderes als – Klischees?
Text: Johannes Stühlinger
Bilder: Ilya Ivanov