Baukunst-Wunderwelt Kopenhagen
Sogar wer bislang nichts mit Architektur am Hut hatte, kommt nicht umhin, neben historischen Sehenswürdigkeiten auch die in jüngerer Zeit errichteten Schätze dieser Stadt zu bewundern. Denn Kopenhagen ist eine wahre Baukunst-Wunderwelt. Und nicht umsonst Welthauptstadt der Architektur 2023.
Schon klar, dass man vor dem ersten Ausflug in die dänische Hauptstadt erst einmal deren berühmteste Sehenswürdigkeiten im Kopf hat. Jene, die sich in allen Reiseführern finden. Also etwa die Kleine Meerjungfrau, Nyhavns bunte Giebelhäuser, Dänemarks „älteste Fußgängerzone“ Strøget, das Schloss Amalienborg, den Vergnügungspark Tivoli und mehr. Allerdings: Kopenhagen fasziniert nicht nur mit historischen Highlights. Die Metropole ist eine wahre Baukunst-Wunderwelt, die vor allem auch mit grandioser zeitgenössischer Architektur stets aufs Neue Geschichte schreibt.
Spektakulär & überraschend
Schon auf der Autofahrt vom Flughafen in die City bleibt der Blick unwillkürlich an einem extravaganten Bauwerk hängen: Am 2011 eröffneten, vom Büro 3XN designten Bella Sky Hotel, dessen zwei 23-stöckige, originell geformte und in der Höhe verbundene Türme da plötzlich aus flacher Naturlandschaft gen Himmel ragen.
Dass direkt daneben mit dem Bella Center Skandinaviens größtes Ausstellungs- und Konferenzzentrum (Gesamtfläche innen: 121.800 Quadratmeter) liegt, das im Juli 2023 den weltgrößten Kongress für nachhaltige Architektur (UIA) beherbergte, ahnt man im Vorbeifahren nicht. Auch nicht, dass man sich bereits in Kopenhagen, und zwar im Stadtteil Ørestad, befindet. Also im jüngsten Viertel der Metropole, das seit 1992 als Planstadt entwickelt wird.
Flut neuer Projekte
Ein Umstand, der sich jedoch bald bemerkbar macht. Weil die sanfte Grünlandschaft wenige Fahrtminuten weiter unzähligen Neubauten sowie mit riesigen Bildtafeln dort aktuell entstehender Gebäude bestückten Baustellen weicht. Und gleich darauf gibt’s im und rund um das Zentrum von Kopenhagen mehr innovative Architektur zu sehen, als sich bei Kurzbesuchen genießen lässt. Von spektakulären Highlights, die ein wenig weiter „draußen“ warten, ganz abgesehen.
Einige der spannendsten Beispiele, die Kopenhagen zu bieten hat, haben wir jüngst aufgesucht – und festgestellt: Es lohnt sich, etwas mehr Zeit für deren Betrachtung einzuplanen.
Da wäre etwa das 2003 und 2013 von Star-Architekt Bjarke Ingels und seinem Büro BIG gestaltete Havnebadet Islands Brygge, das Kopenhagen ein heißgeliebtes Freibad beschert hat. Ein nachhaltiges Wunderwerk mit viel erholsamem Freizeitangebot, das – gekoppelt mit strengem Umweltkonzept – das Baden im Wasser des Hafenbeckens zum unbeschwerten Vergnügen macht.
Wasserspaß im Hafen
Gebaut mit Fundamenten aus schwimmenden Betonbojen und einer Holz-Konstruktion, wurde die große Anlage zum Pionierbeispiel, dem weitere Hafenpools folgten. Und sie lässt auch optisch nichts zu wünschen übrig. Wovon sich Bjarke Ingels inspirieren ließ, ist offensichtlich: Die Holzdecks, der Lifeguard- und der Sprung-Turm erinnern stark an die Schiffe, die zwischen Kopenhagens Docks kreuzen.
Hotspot für Design-Verliebte
Unweit davon findet sich ein Bauwerk, das vor allem Design-Fans lockt: BLOX, 2018 nach Plänen des Büros OMA fertiggestellt, ist eine Art Stadt in der Stadt. Ein verbindendes Element zwischen City und Uferzone, das ganz im Zeichen dänischer Designkunst steht. In seinen asymmetrisch gestapelten Blöcken residieren unter anderem das Danish Architecture Center, ein Innovation Hub, das Danish Design Center, Creative Denmark, ein Café sowie ein Restaurant. Obwohl bis heute nicht ganz unumstritten, gilt BLOX inzwischen als Hotspot für Menschen aller Alters- und Interessengruppen.
Wie gern man in der Welthauptstadt der Architektur des Jahres 2023 mit Formen und Materialien spielt, lässt sich auch an vielen anderen Bauten neuerer Zeit unschwer erkennen. Zum Beispiel an den von Lundgaard & Tranberg Architects designten und 2017 fertiggestellten Axel Towers mit ihren fünf runden, verbundenen Türmen. Oder am, vom selben Büro gestalteten Komplex der SEB Bank aus 2010, der mit viel Grün, türkisfarbenem Glas, kupfernen Kantenleisten und runden Säulen beeindruckt.
Als Radfahrer-Dorado ist Kopenhagen weltbekannt. Und die 180 Meter lange Inderhavnsbroen (Innere Hafenbrücke) ist ein wichtiger Teil des legendären Rad- und Fußwegnetzes der Stadt. Von Studio Bednarski konzipiert und 2016 vollendet, verbindet „Europas erste ausziehbare Brücke“ das Zentrum mit Christianshavn und verkürzt den Weg zwischen den Attraktionen Nyhavn und Freistadt Christiania.
Radfahrer-Liebling Hafenbrücke
Statt der ursprünglich prognostizierten bis zu 7.000 Radfahrer pro Tag nützen inzwischen täglich mehr als 16.000 die Brücke. Und zahllose Besucher erfreuen sich am fabelhaften Blick, den die Aussichtsplattformen des Bauwerks aufs bunte Treiben und die grandiose Architektur des inneren Hafens eröffnen.
Nicht minder faszinierend: Die 2015 fertiggestellte Cirkelbroen (Kreisbrücke) an der Mündung des Christianshavns Kanals, die einem stolzen Segelschiff gleicht. Vom dänisch-isländischen Künstler Ólafur Elíasson entworfen, besteht sie aus fünf verbundenen kreisrunden Beton-Plattformen unterschiedlicher Größe – jede davon mit Mast mit Drahtseilen versehen.
Sinnvolle Romantik
Die Plattformen und hübschen roten Geländer, der hölzerne Handlauf und die nächtliche LED-Beleuchtung machen die Brücke vor allem abends zum romantischen Treffpunkt. Mit ihrem Bau erfüllte Kopenhagen seinen Bürgern den Wunsch nach einer durchgehenden Promenade entlang des Innenhafens und einer Verbindung zwischen Christianshavn und Applebys Plads. Für niedrigere Schiffe ist die 32 Meter lange und 2,75 Meter hohe Brücke kein Hindernis. Wird jedoch mehr Durchfahrtshöhe benötigt, können drei der fünf Plattformen binnen 20 Sekunden horizontal geöffnet werden.
Dass nicht alles, was die Baukunst-Wunderwelt Kopenhagen zu bieten hat, jedem gefällt, beweist die 2005 nach Plänen des berühmten Architekten Henning Larsen errichtete Königliche Oper. Schließlich bezeichnete der 2013 verstorbene Gründer des gleichnamigen dänischen Erfolgsbüros diese höchstselbst als seinen „größten Fehler“. Sie gleiche „einem Toaster“. Den Outstanding Structure Award der International Association for Bridge and Structural Design (IABSE) erhielt sie trotzdem.
Umstrittenes Highlight
Die Kalksteinfassade des kantigen Gebäudes, das zu den größten der Stadt zählt, sticht hervor. Das auf der Insel Holmen, am Ende der historischen Achse von Marmorkirken und Schloss Amalienborg gelegene Opernhaus hat aber auch unumstrittene Qualitäten: Es gilt als eines der weltweit modernsten seiner Art. Und spätestens beim Betreten der marmorverkleideten Lobby mit ihren hängenden Balkonen weichen etwaige Ressentiments gegen das Äußere des Bauwerks meist beeindrucktem Staunen.
Unweit dieses Kulturbaus, auf der künstlich erweiterten Halbinsel Refshaleøen, kann man ein Beispiel kluger, zukunftsorientierter Stadtplanung bewundern. Denn dort hat das Büro BIG 2017 ausgediente Schiffscontainer in schwimmende, CO2-neutrale und günstige Wohneinheiten verwandelt. Der Name des Projekts: Urban Rigger.
Die aus jeweils neun hellblauen Containern sternförmig aufgestapelten Trakte wurden um einen gemeinschaftlichen Innenhof mit Kajak-Steg, Badeplatz und Grill-Bereich gruppiert. Mit begrünten und mit Solarpaneelen bestückten Dächern sowie Lagerräumen, Technik und Waschküchen unter dem Wasserspiegel finden vor allem junge Studierende in Urban Rigger ein leistbares Zuhause. Ein nachhaltiges, urbanes „Dorf“ auf dem Wasser, dessen Kapazitäten sich jederzeit erweitern lassen.
Gekonntes Spiel mit Licht & Sonne
Weniger zentral, aber auf jeden Fall bemerkenswert, ist ein erst jüngst errichtetes Exempel der Baukunst-Wunderwelt Kopenhagen: Das von Vilhelm Lauritzen Architects und Cobe designte Bürohaus Spidsen of Nordø (Spitze der nördlichen Insel). Kreisrund, 60 Meter hoch und mit Glas und galvanisiertem Stahl verkleidet, thront es an der Einfahrt zum Hafen und gilt als Kopenhagens neues Wahrzeichen.
Das funktionale Design des Bürogebäudes basiert auf einer jährlichen, stündlichen Wettersimulation: Sonnenlicht wird allzeit optimal reflektiert, die Räume sind bestens mit natürlichem Tageslicht versorgt und wohltemperiert. Dies senkt den Energieverbrauch des Gebäudes, das zudem eine grandiose Aussicht bietet.
Vom Silo zum Prachtbau
Das dänische Architekturbüro Cobe stand auch hinter der gekonnten Umgestaltung eines gewaltigen Getreidesilos im neuen Hafenviertel Nordhavn: Seit 2017 gilt „The Silo“ als Paradebeispiel kluger Nutzung alten Bestands.
Die in 38 exklusive Wohneinheiten verwandelte Betonstruktur mit ihren in die Außenhaut gesetzten Balkonen würdigt die industrielle Vergangenheit ihrer Umgebung. Zugleich ist sie mit ihren 17 Stockwerken und ihrem ungewöhnlichen Look ein städtebaulicher Leuchtturm des neu gestalteten Nordhavn-Gebiets.
Schule als Nachhaltigkeits-Exempel
Glitzernde Nachhaltigkeit lässt sich auf einer Nordhavner Halbinsel bestaunen. Und zwar in Form der 2017 nach Plänen von C.F. Møller Architects finalisierten Copenhagen International School. Mit 12.000 Solarpaneelen an ihrer 6.048 Quadratmeter umfassenden, aquamarin schimmernden Fassade passt die Schule perfekt zu Kopenhagens Ziel, bis 2025 die umweltfreundlichste Stadt der Welt zu werden.
Die Hälfte des Energiebedarfs der Schul-Anlage kann durch die Paneele an der Außenhaut gedeckt werden. Wobei selbstverständlich auch im Inneren auf Nachhaltigkeit geachtet wurde. Zum Beispiel durch Verwendung natürlicher Materialien, Grauwasser-Nutzung und sensorgesteuerte LED-Beleuchtung.
Star der Baukunst-Wunderwelt Kopenhagen
Ähnlich zukunftsfit, aber noch futuristischer, wird’s, wenn man sich ins ehemalige Industriegebiet auf der Insel Amager begibt, um die von BIG 2018 umgestaltete Müllverbrennungsanlage Amager Bakke zu betrachten. Denn dabei handelt es sich nicht nur um eine der europaweit leistungsfähigsten Anlagen in Sachen Energieeffizienz, Abfallbehandlungskapazität und Umweltverträglichkeit.
Bjarke Ingels‘ Architekturstudio hat dieses Kraftwerk nämlich auch zum ganzjährig genutzten, begehrten Freizeitparadies gemacht. Zu „CopenHill“. Mit Europas höchster Kletterwand, Schipiste, grüner Picknick-Zone und Wanderpfad. Allesamt gekonnt aufs gewaltige Kraftwerksgebäude gesetzt. Unweit des Stadtzentrums. Und 2021 mit dem renommierten World Building of the Year Award ausgezeichnet.
Modernes City-Life in „Kakteen“
Um gleich bei Star-Architekt und BIG-Gründer Bjarke Ingels zu bleiben: Der für unkonventionelle Konzepte bekannte Däne, der selbst auf einem Hausboot in Kopenhagen wohnt, sieht derzeit auch der Fertigstellung eines weiteren, preisgekrönten Projekts entgegen. Und auch dieses zieht sofort alle Blicke auf sich: Die „Kaktus Towers“ im Stadtviertel Vesterbro ähneln tatsächlich hoch aufstrebenden, stacheligen Kakteen.
Das extravagante Äußere der beiden Türme ist das Ergebnis einer Design-Idee, die den Ressourcenverbrauch reduziert, zugleich jedoch Balkone mit grandioser Fernsicht schafft. Die 495 Miet-Wohnungen der Kaktus Towers sind klein, aber ideal für modernen City-Lifestyle angelegt. Wie ein dichtes Puzzle sind sie um den inneren Kern mit Aufzügen und Treppen angeordnet.
Neues Wohnmodell mit Extras
Den Nutzern stehen viele gemeinschaftliche Annehmlichkeiten zur Verfügung – von Dachgarten und Gym bis Café und Event-Space. In City-Nähe, nah am Wasser, an Radweg und Hafenpromenade. Und mitten in einer neuen Grünzone, deren Masterplan die berühmte dänische Architektin Dorte Mandrup für die Baukunst-Wunderwelt Kopenhagen erstellt hat.
Wer aktuell ein anderes, spannendes und voraussichtlich bis 2024 fertiges Projekt wachsen sehen möchte, hat auf der Halbinsel Christiansholm die Möglichkeit. Als Papirøen (Papierinsel) bekannt und nun durch die oben erwähnte Inderhavnsbroen bequem erreichbar, zählt dieser Stadtteil zu den interessantesten der dänischen Metropole.
Entwicklungs-Highlight Papierinsel
Die Papierinsel ist ein Beispiel dafür, wie sich Kopenhagen von einer Industriestadt in einen Ort für Menschen verwandelt. Wo früher riesige Papierrollen für die dänische Presse gelagert wurden, entstand mit Hilfe des Masterplans des Büros Cobe ein bunter Hotspot mit Street-Food, Café und mehr. Ein Publikumserfolg, der inzwischen in die nächste Runde geht. Mit neuen, faszinierenden Projekten.
Bei der weiteren Umgestaltung Papirøens wählte Cobe den öffentlich zugänglichen, robusten architektonischen Typus der Industriehalle als programmatische Prämisse (siehe Bild). Und bald wird vor Ort viel Neues Besucher anziehen. Zum Beispiel das Vand-kulturhuset. Eine Zusammenarbeit von Vilhelm Lauritzen Architects, Cornelius + Vöge Atelier for Architecture und Kengo Kuma, die der Baukunst Wunderwelt Kopenhagen ein neues Kulturzentrum und einen weiteren öffentlichen Badeplatz beschert.
Nächste Ikone: Badehaus
Star-Architekt Kengo Kuma erhielt den Zuschlag fürs „Water Culture House“ – ein Badehaus für Jung und Alt, dessen Konzept durchaus das Zeug zur Architektur-Ikone hat.
Das fertige Ergebnis der Pläne für die Papierinsel kann man freilich noch nicht sehen. Doch wer sich einen weiten Ausblick auf interessante Projekte dieser Zone und rundum gönnen will, kann diesen von der Lille Langebro (der Kleinen Langen Brücke, designt von WilkinsonEyre und Urban Agency) aus genießen.
Die 2019 fertiggestellte, elegant geschwungene Rad- und Fußgängerbrücke (siehe auch Beitragsbild) bietet eine wunderbare Sicht auf einen Bereich der Baukunst-Wunderwelt Kopenhagen, der Alt und Neu grandios nebeneinander setzt.
Natürlich sind dies längst nicht alle Meisterwerke, die die Welthauptstadt der Architektur 2023 zu bieten hat. Und jene aus früheren Zeiten stehen den hier genannten Projekten an Faszination selbstverständlich in nichts nach.
Vielseitige Baukunst-Wunderwelt Kopenhagen
Schon allein der, nach zwischen 1898 und 1902 von Heinrich Wenck vorgelegten Plänen errichtete Hauptbahnhof ist eine Augenweide. Genau wie all die historischen Gebäude, deren Beschreibung sich in klassischen Reiseführern finden lässt.
Den Überblick über die unzähligen neueren und aktuellen Projekte zu behalten, die in Kopenhagen zu sehen sind, ist allerdings weniger leicht.
Hilfreicher Architektur-Guide
Unser Tipp: Der vom Danish Architecture Center publizierte „Guide to New Architecture in Copenhagen“ macht’s einfacher. Nur, Achtung: Auf seinen 148 Seiten finden sich 100 aktuelle Bauwerke. Allesamt sehenswert – so, wie die ganze Pracht der Design- und Baukunst-Wunderwelt Kopenhagen, die deutlich mehr als einen Kurzbesuch lohnt.
Text: Elisabeth Schneyder
Bilder: Michael Nagl