Remake für die Berliner Filmstudios
Wo schon vor 100 Jahren Stummfilm-Klassiker entstanden, wird‘s nachhaltig und bunt: Die Gebäude der Berliner Union-Film Ateliers werden neugestaltet. Das von MVRDV designte Projekt „Atelier Gardens“ macht sie zum modernen Kreativ-Hotspot – auch übers Filmgeschäft hinaus.
Berühmte Klassiker, die dort entstanden, haben längst mehrere Neubearbeitungen hinter sich. Zum Beispiel der 1920 auf dem Gelände der Berliner Union-Film Ateliers (BUFA) gedrehte Stummfilm „Der Golem, wie er in die Welt kam“. Und was dort 1912 mit einem Glashaus begann, weil man noch auf Tageslicht angewiesen war, wuchs und überdauerte auch düstere Zeiten: Die Filmstudios in Berlin-Tempelhof. Jetzt verschafft das Projekt „Atelier Gardens“ den historischen Gebäuden selbst ein verdientes Remake.
Startschuss für „Atelier Gardens“
Die Pläne für die Neugestaltung hat das renommierte niederländische Architekturbüro MVRDV entworfen. Das Projekt „Atelier Gardens“ macht die Berliner Filmstudios fit für die Zukunft, indem es die ehrwürdigen Bauten mit nachhaltigen Materialien bewahrt und adaptiert. Und die Verwandlung darf bereits beginnen: Die Baugenehmigung für die ersten beiden Teile wurde jüngst erteilt.
Die Union-Film Ateliers liegen am südlichen Rand des stillgelegten Flughafens Berlin-Tempelhof und sind seit Errichtung ihrer ersten Gebäude vor über einem Jahrhundert ein wichtiger Bestandteil der Berliner Film- und Fernsehindustrie.
Jetzt erweitert die BUFA ihren Nutzerkreis: Neben Filmschaffenden werden auch „Changemaker“ verschiedenster Sparten in den „Atelier Gardens“ ans Werk gehen können. Und zwar einschließlich Organisationen und Einzelpersonen, die auf Aktivismus und soziale Gerechtigkeit fokussieren. Am Anfang dieser Neuorientierung steht die Veränderung der Räumlichkeiten.
Alter Ziegel, neues Grün
Die fünf Filmstudios und ihre Nebeneinrichtungen bilden einen dichten Campus: Große, alt-ehrenwerte Ziegelbauten definieren enge Gassen und offene Plätze. MVRDVs Konzept erhält und unterstützt diese räumliche Vielfalt. Bestehende Strukturen werden nicht abgerissen und neu gebaut, sondern nachhaltig umgestaltet. Die historischen Gemäuer werden dadurch quasi „erfrischt“ und das Potenzial der Zwischenbereiche maximiert.
Die „Atelier Gardens“ Pläne sehen eine ökologisch angelegte Landschaft für den Campus vor. Große Flächen werden gepflastert, um Fahrzeuge aus diesen Bereichen zu verbannen. Für Wasserdurchlässigkeit und Artenvielfalt sorgen begrünte Plätze und Dachgärten. Im Namen der Nachhaltigkeit stehen unter anderem auch Öko-Toiletten, Regenwassersammlung, Wasserrecycling und verbesserte natürliche Belüftung auf der Agenda.
Derzeit wird zudem geprüft, ob Stahl aus dem Abriss zweier veralteter Lagerhäuser direkt vor Ort wiederverwertet werden kann. Wenn ja, wird dieser für den Bau eines neuen Eingangspavillons genützt.
Schritt für Schritt
Der Masterplan für den 23.800 Quadratmeter großen Campus verfolgt einen schrittweisen Ansatz zur Erneuerung der Berliner Union-Film Ateliers. Jede bauliche Veränderung wird dabei als Reaktion auf die vorhergehenden betrachtet. Die ersten beiden, jüngst genehmigten Schritte sind die Umgestaltung des Gebäudes neben dem Haupteingang (bekannt als „Haus 1“) und die Renovierung von Studio 1.
Das fast 100 Jahre alte Studio 1 wird den Ansprüchen moderner Filmproduktion nicht mehr gerecht. In den vergangenen Jahren wurde es hauptsächlich für TV-Produktionen und Werbespots genutzt. Dass das Gebäude unter Denkmalschutz steht, machte einen komplexen Entwurf erforderlich. Einen, der flexiblen Raum für verschiedenste Zwecke schafft, ohne die Charakteristika des Bauwerks dauerhaft und erheblich zu verändern.
Das Ziel der Architekten besteht darin, die Lebensdauer des Gebäudes zu verlängern. So, dass eine nachhaltige Zukunft für den Campus gewährleistet, zugleich jedoch dessen Geschichte gewürdigt wird.
Viel Effekt mit wenig Aufwand
Das Planer-Team will dies mittels „Low-Tech-Transformation“ erreichen. Markantes Merkmal des Konzepts für Studio 1 ist eine komplizierte Vorhangleiste. Im Gegensatz zu sonst in Filmstudios üblichen, verdeckten Schienen, soll diese zum Kernstück und Blickfang werden. Sie wird eine Reihe von Vorhängen in verschiedenen leuchtenden Farben tragen. Dies allerdings nicht nur der Optik zuliebe, sondern mit Sinn und Zweck. Denn die „Gardinen“ können als Raumteiler verwendet werden. Und sie erfüllen jeweils unterschiedliche Funktionen, indem sie etwa Schall- oder Lichtschutz bieten.
Die Verwandlung zum „Atelier Gardens“-Teilstück setzt Ergänzungen, die einen deutlichen und sichtbaren Kontrast zum ursprünglichen Gebäude ergeben: Flexibel statt starr und bunt statt schwarz. Die Ziegelwände bleiben sichtbar, während ein neues Oberlicht im Dach über der Vorhangleiste den Raum für verschiedene Nutzungen bereit macht. Auch neue Auskleidung im Inneren und ein effizienteres Belüftungssystem sind vorgesehen.
Hölzerne „Hülle“ für Haus 1
Dem 1997 erbauten Haus 1 stehen radikalere Veränderungen bevor. Mit schlechtem Raumklima, sommerlicher Überhitzung und schlechter Isolation soll Schluss sein. Erreichen wollen die „Atelier Gardens“-Architekten dies „mit einem Minimum an Material, das ein Maximum an Wirkung erzielt“. So wird etwa eine grüne „Hülle“ aus einem Holzrahmen und Kletterpflanzen das Haus effizienter machen.
Der neue Rahmen ragt über die Dachlinie hinaus und bildet einen geschützten Garten und einen Dachpavillon. Dieser wird sowohl vom Gebäude selbst, als auch über eine im Zickzack verlaufende Treppe zugänglich sein. Im Inneren von Haus 1 werden flexible Arbeitsbereiche, eine Café-Bar und Besprechungsräume untergebracht.
Optimistisch in die Zukunft
„Mit seinem neuen Fokus auf soziale Belange trägt Atelier Gardens dazu bei, eine andere Vision der Gesellschaft zu definieren und mehr Menschen einzuladen, sich dieser anzuschließen“, erklärt MVRDV-Gründungspartner Jacob van Rijs. Und er fügt hinzu: „Indem wir dieses wichtige Stück Berliner Filmgeschichte umgestalten, verlängern wir seine Lebensdauer und verbinden eine spannende Vergangenheit mit einer optimistischen Zukunft“.
MVRDV designt den „Atelier Gardens“ Masterplan und dessen Gebäude für den in London ansässigen Immobilieninvestor und -entwickler Fabrix. Die architektonischen Entwürfe wurden in Kooperation mit dem lokalen Büro HS-Architekten entwickelt. Die Landschaftsgestaltung liegt in den bewährten Händen des Londoner Harris Bugg Studios.
Tummelplatz für Pioniere
Als nächster Schritt in der Geschichte des BUFA-Campus soll „Atelier Gardens“ Pionierarbeit in vielen Bereichen leisten, die von direkter demokratischer Beteiligung profitieren. Der Bogen reicht hier von Landwirtschaft, Lebensmitteln und Finanzen bis zu Film, Management, Bildung und mehr.
Die Umwandlung der Berliner Union-Film Ateliers in „Atelier Gardens“ wird als Sammlung von Pilotprojekten betrachtet. Als fortlaufender Prozess, bei dem Mitwirkung und Feedback der Nutzer dazu beitragen, die künftige Orientierung des Campus zu bestimmen.
Fabrix-CEO Clive Nichol beschreibt das Ziel des Projekts so: „Unsere Vision für Atelier Gardens ist es, auf der Geschichte der BUFA als Ort der Energie und Leidenschaft aufzubauen und mit kreativen, zukunftsorientierten Menschen zusammenzuarbeiten“. Entstehen soll „ein Zuhause für Austausch, Aktion und globale Wirkung“.
Legendär & zukunftsfit
Die geschichtsträchtigen BUFA-Studios sind jedenfalls ein guter Ausgangspunkt für diese Vision. Immerhin erinnern sie an den kreativen Impuls, der in den 1920er Jahren von Berlin aus um die Welt ging. Entsprechend beinhaltet der Plan Erhalt und Umnutzung der bestehenden Gebäude – und ihre Anpassung an die sich entwickelnden Bedürfnisse ihrer städtischen Umgebung.
Nachhaltige Verwandlung
Mit dem renommierten Büro MVRDV zeichnet ein erfahrenes Architektenteam für die Metamorphose des Campus verantwortlich. Die Niederländer sind für gekonnte, nachhaltige und zukunftsorientierte „Verwandlungen“ bekannt.
Aktuell beeindruckt etwa MVRDVs Projekt „Traumhaus Funari“ in Mannheim, das ein ehemaliges Kasernengelände zum leistbaren, grünen und autofreien Wohnquartier umgestaltet. Dass das Büro ein Händchen für lustvoll kreative Bauten hat, beweist sein cooles, 2021 mit dem begehrten DAM-Preis ausgezeichnetes „WERK12“-Gebäude in München.
Würdiges „Remake“
Auch dass den Architekten Nachhaltigkeit sehr am Herzen liegt, darf als erwiesen gelten: Nicht umsonst designten sie für den neuen Hauptsitz eines russischen Mineralöl-Giganten den bis dahin größten klimaneutralen Holzbau der Welt. Ein visionärer Plan, der leider nicht realisiert wurde. Mit den Berliner „Atelier Gardens“ indes geht’s jetzt voran. Und was dort entsteht, verspricht dem Geburtsort legendärer Filmkunstwerke ein würdiges Remake und eine spannend-schöne Zukunft.
Text: Elisabeth Schneyder
Bilder: MVRDV