Eine Kathedrale für den Wassersport
Bis zur nächsten Olympiade dauert es nicht mehr lang. Austragungsort wird 2024 Paris sein. Das neu zu errichtende Aquatics Centre ist Teil der Strategie, „nachhaltige Spiele” zu veranstalten. Das überwiegend aus Holz bestehende Sportzentrum nimmt schon konkrete Formen an.
Die Spiele der XXXIII. Olympiade und der Paralympics nähern sich in Riesenschritten. Sie sollen vom 26. Juli bis zum 11. August 2024 in Paris stattfinden. 206 Delegationen und rund 15.000 Athleten werden teilnehmen. Die französische Hauptstadt wird zum dritten Mal, nach 1900 und 1924, die Veranstaltung ausrichten.
„Auf einem guten Weg”
Alles ist „auf einem guten Weg”, so lautete das Fazit der Koordinierungskommission des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) nach einem Besuch in der französischen Hauptstadt Ende August 2022.
Die umfassende Nachhaltigkeitsstrategie von Paris zielt darauf ab, „klimaschonende Spiele” zu veranstalten. Die kontinuierlichen Bemühungen des Organisationskomitees in Richtung dieses Ziels bestehen im innovativen Energieprogramm, der ehrgeizigen „Food Vision” und dem Ansatz der Kreislaufwirtschaft.
Aquatics Centre: Neubau-Ausnahme
Entscheidend für die Verwirklichung dieser Nachhaltigkeitsziele ist, dass 95 Prozent der Veranstaltungsorte entweder Bestandsobjekte sind oder temporärer Natur. Mit dieser großen Ausnahme: Das Aquatics Centre in Seine-Saint-Denis.
Die Ausschreibung für den Schwimmbadkomplex haben das niederländische Büro VenhoevenCS in Kooperation mit dem französischen Büro Ateliers 2/3/4/ gewonnen.
Das bereits existierende, gegenüber liegende Stade de France wird saniert. Im Stadion sind die Eröffnungs- und Schlussfeier der Spiele sowie die Leichtathletikwettkämpfe geplant, während im neuen Wassersportzentrum die Schwimm-, Tauch-, Synchronschwimmen- und Wasserballwettkämpfe stattfinden werden.
Aufwertung des Quartiers Saint-Denis
Das Projekt im Auftrag des regionalen Gemeindeverband Métropole du Grand Paris umfasst auch einen Vorplatz, eine Zufahrtsrampe sowie eine neue Fußgängerbrücke. Letztere wird die benachbarte Stadtautobahn A1 überbrücken und so das Aquatics Centre mit dem Stade de France, dem größten Stadion Frankreichs, verbinden.
Nach den Spielen wird den Bewohnern des Stadtviertels Saint-Denis ein schönes und innovatives Zentrum für Sportarten und Events sowohl für drinnen als auch draußen zur Verfügung stehen. Das Projekt wird daher auch als wichtige Investition in die Zukunft des nicht unproblematischen Stadtteils gesehen.
Großes Angebot: Lernschwimmbecken, Aqua-Kids-Bereiche, Boulder-Wand
Teil des Programms in Paris sind auch spezielle Aqua-Bereiche für Kinder. Abgerundet wird das neue Sportmekka mit einem Lernschwimmbecken, einem Fitness-Zentrum im südlichen Teil der ersten Ebene, mit großen Räumen für Cardio-Krafttraining sowie Unterrichtsräumen für Yoga, Tanz und Meditation.
Unter der Rampe, die zur Nordseite führt und direkt mit der Eingangshalle verbunden ist, wird sich ein Bereich zum Bouldern befinden. Ein Plateau über den Bereichen der temporären Tribünen wird Basketball-Felder beherbergen.
Darüber hinaus sind an dem Ort, an dem die Menschen in Saint-Denis künftig schwimmen lernen, Sport treiben, sich entspannen und treffen können, große öffentliche Grünflächen geplant. Das kompakte Gebäude wird von natürlichen und geplanten Grünflächen umgeben sein.
Natur als Patin für das Designkonzept
Mit dem Projekt wird gleichzeitig auch eine Verbindung mit dem neuen Herzen des künftigen Öko-Viertels La Plaine Saulnier geschaffen.
Neben der Aufwertung des Stadtviertels standen vor allem Nachhaltigkeit und Biodiversität im Vordergrund des Entwurfs. Die Natur sei Patin für das Designkonzept gestanden, heißt es: „Sie entwickelt sich ständig weiter, passt sich an veränderte Umstände an, was zu ausgewogenen Ökosystemen führt“.
Bepflanzung à la Ile de France
Der sehr kompakte Entwurf erlaube die Pflanzung von 100 Bäumen, um die Lebens- und Luftqualität zu verbessern und die Artenvielfalt zu fördern. Die Auswahl der zu pflanzenden Baumarten ist einerseits an die städtische Vegetation von Paris angelehnt, und erinnert andererseits an die ausgedehnten Waldlandschaften mit Kiefern, Eichen, Ahorn und Ebereschen auf der Ile de France.
Holz, als eines der wichtigsten nachwachsenden und ökologischen Baumaterialien, wird für die Hauptstruktur des Gebäudes verwendet. Die Haupthalle des Zentrums, in der sich die Wettkampfbecken befinden, wird von einem riesigen Holzdach überspannt. Es wird eine Spannweite von 80 Metern haben.
Riesiges Dach mit Blattstrukturen
Mit dieser Konstruktion gehe man weit über die geltenden Umweltvorschriften und -anforderungen hinaus. „In dieser riesigen Kathedrale, die dem Wassersport gewidmet ist, gibt es keine Zwischendecken oder Verkleidungen”, wird betont.
Das Dach ist wie ein Blatt: Die Lüftungskanäle durchziehen es wie Adern und die Oberfläche ist so gestaltet, dass ein Maximum an Sonnenenergie eingefangen wird.
Stromlinienförmiges Gebäude mit Wellenform
Optisch ist das Dach als Referenz an das Wasser gedacht: Es ist wie eine Welle an den Seiten hochgezogen. So bringt man die Tribünen gut unter und da es in der Mitte abfällt wird das Raumvolumen verringert. Dadurch kann man das Gebäude effizienter beheizen. „Das mit Holzbalken gespannte Dach vergrößert den Raum dank seiner dynamischen Kurven, die ihn sowohl intim als auch luftig machen”, erklären die Architekten von VenhoevenCS.
VenhoevenCS und Ateliers 2/3/4/ haben sich für die Konstruktion aus Holz entschieden, da dieses Material bekanntermaßen weniger CO2-Emissionen verursacht als andere Werkstoffe wie Beton und Stahl. Zum zweiten will Paris die nachhaltigsten Spiele der Geschichte ausrichten.
Größter städtische Solarpark Frankreichs
Insgesamt 90 Prozent des Energiebedarfs des Gebäudes sollen durch erneuerbare oder rückgewonnene Energie gedeckt werden. Die Solarpaneele auf dem Holzdach werden dazu zu 25 Prozent beitragen. Es handelt sich um den dann größten städtischen Photovoltaikpark Frankreichs.
Weitere nachhaltige Features: Beim Wassersystem werden 50 Prozent wiederverwendet.
Interior aus Upcycling-Möbeln
Auch Upcycling wird mehr als nur ein Schlagwort sein: Die Möbel in den Restaurants, Bars und im Eingangsbereich sind aus Holzabfällen von der Baustelle und anderen Abbruchstellen hergestellt. Die Tribünenstühle bestehen zu 100 Prozent aus recyceltem Kunststoff, der in Schulen in Saint-Denis gesammelt wurde.
Das Schwimmbecken in der Hauptarena ist so konzipiert, dass es flexibel ist. Eine mobile Trennwand wird zwischen dem Wettkampfbecken und dem Sprungbecken aufgestellt. So kann die Länge der Becken für verschiedene Veranstaltungen angepasst werden.
Modulares und multifunktionales Wettkampfbecken
Die Tribünen auf drei Seiten bieten Platz für 5.000 Zuseher rund um das „modulare und multifunktionale Wettkampfbecken“. Der gesamte Raum wird natürlich beleuchtet. Beide Enden des Bauwerks bestehen aus Glaswänden, von denen eine den Blick auf das benachbarte Stade de France frei gibt.
Nach den Spielen wird eine der Tribünen entfernt. Die Kapazität reduziert sich dann auf 2.500 Personen. Die so gewonnene Fläche wird als Fußballfeld genutzt. Im Zentrum werden sich auch ein kleineres Trainingsbecken, ein Aufwärmbecken, Umkleideräume, eine Boulderwand, Basketballplätze und Fitnessräume befinden. Hinzu kommt nach den Spielen natürlich auch Gastronomie.
innovatives Büro für nachhaltige Architektur, Stadtentwicklung und Infrastruktur. 1995 von Ton Venhoeven in Amsterdam gegründet, hat sich das Büro seitdem zu einem Design- und Beratungsbüro mit fünf Partnern und einem internationalen Team von Architekten, Stadtplanern und Ingenieuren entwickelt.
Weltbevölkerung und globale Vernetzung nehmen zu. Dennoch glaubt VenhoevenCS
dass „unser Planet allen Lebewesen ausreichend Platz für eine friedliche und nachhaltige Koexistenz bietet und dass Design dazu beitragen kann, die Welt für alle Lebensformen neu zu beleben”. Die Ökosysteme der Natur dienen „als Ausgangspunkt für unsere Forschungs-, Design- und Beratungspraxis”.
Die Haupteingangshalle, die sich weit nach außen hin öffnet und den Vorplatz verlängert, ist der einzige Eingang für alle Aktivitäten. Ihre doppelte Höhe ist von außen durch die transparente Fassade sichtbar.
Gute Erreichbarkeit des Sportzentrums
Beide Seiten des Gebäudes dagegen werden mit Holz verkleidet und mit einem Sonnenschutz aus einer Stahlkonstruktion versehen. Die Lamellen der Fassade aus vorvergrautem Douglasien-Holz schließen Gehwege mit Sitzgelegenheiten ein. Sie dienen auch als Schall-, Luft- und Sonnenschutz, während sie gleichzeitig den Eingang zu einem geschützten Bereich machen, der einladend und lebendig ist. Die Fußballfelder und Außenwasseranlagen werden in das parkähnliche Umfeld integriert.
Nicht nur die Bewohner des dynamischen Stadterneuerungsgebiets Saint-Denis können sich daher jetzt schon auf das Danach freuen. Die gute Erreichbarkeit mit dem Pkw, vor allem aber mit öffentlichen Verkehrsmitteln verheißt allen Pariser Wasserratten ab 2024 feinstes Badevergnügen. Zumal für bessere Erreichbarkeit zu Fuß und mit dem Fahrrad gesorgt wird.
Text: Linda Benkö
Renderings/Fotos: Proloog / VenhoevenCS