Schöne neue Arbeitswelt
Der fixe Schreibtisch war gestern. Das Konzept Activity Based Working bietet den Mitarbeitern flexible Arbeitslandschaften, begrünte Wände und – im Fall von Amazons The Spheres – sogar Baumhäuser und einen Wasserfall.
Zettelwirtschaft und Post-it-Neurosen lassen sich in der neuen Arbeitswelt nur schwer pflegen. Clean Desk Policy lautet nämlich die neue Parole des großräumlichen Zusammenarbeitens. Fixe Schreibtische mit Stapeln an Unterlagen und gehortetem Krimskrams weichen einer atmosphärischen Arbeitslandschaft, die scheinbar keine Bedürfnisse offen lässt. Mitarbeiter bewegen sich beim sogenannten Activity Based Working ganz ungezwungen und wechseln vom Schreibtisch zum Sofa, vom Sofa zum Café und vom Café zur abgeschirmten Telefonkoje. Je nachdem, was gerade ansteht. Der temporäre Arbeitsplatz wird nach dem Einsatz wieder komplett leergeräumt, Unterlagen und persönliche Dinge wandern zum Feierabend in den Spind.
Die Entwicklung des Büros
Die fortschreitende Digitalisierung hat unsere Arbeits- und Kommunikationsprozesse von Grund auf verändert. Dementsprechend hat sich auch die Arbeitsumgebung gewandelt. Die gewohnte Architektur von Bürogebäuden mit klassischen Raumstrukturen wird in neuen Office-Konzepten komplett aufgebrochen. Sie knüpfen zum einen an die experimentellen Bürolandschaften an, die von den Architekten Phillip Stone and Robert Luchetti bereits in den 1970er-Jahren geprägt wurden. Zum anderen sind sie eine Weiterentwicklung des Open-Space-Konzeptes, das in den 1990er-Jahren in Schweden erarbeitet wurde. Es kombinierte die Vorteile von Zell- und Großraumbüros und sollte die Kommunikation und soziale Interaktion verbessern.
Der Unternehmensberater Erik Veldhoen prophezeite 1995 in seinem Buch „Demise of the Office“ den Untergang des Büros. Er prägte erstmals den Begriff Activity Based Working, der bis heute viel diskutiert wird. Ziel der aktivitätsspezifischen Büroarchitektur ist eine höhere Effektivität beim Arbeiten, eine bessere Nutzung der Ressourcen, die Steigerung der Kreativität und nicht zuletzt eine Kostensenkung.
Arbeiten ohne Risiken und Nebenwirkungen
Die offene Bürostruktur ist allerdings auch mit Nachteilen verbunden. Lärmbelastung, Mangel an Privatsphäre und schlechte Luftqualität brachten das Großraumbüro in der Vergangenheit in Verruf. Der Begriff Sick-Building-Syndrom etablierte sich in diesem Zusammenhang. Damit das Arbeiten möglichst nebenwirkungsfrei vonstatten geht, setzen Unternehmen auf Health Based Working. Beim gesünderen Arbeiten geht es nicht nur um einen räumlichen, sondern auch um einen ideellen Ansatz.
In vielen Jobs und Branchen ist mein Appell, das zu tun, was wir wirklich, wirklich wollen, bereits Realität geworden. Es ist Teil der Unternehmenskultur.
Frithjof H. Bergmann, Sozialphilosoph
Dieses Konzept geht zum Teil auf den österreichisch-US-amerikanischen Sozialphilosophen Frithjof H. Bergmann zurück, der in den 1970er-Jahren die New Work-Bewegung gründete. Als zentrale Werte der Neuen Arbeit definierte er Selbstständigkeit, Freiheit, Selbstverwirklichung und Teilhabe an der Gemeinschaft. Konkret bedeutet das, dass sich Mitarbeiter beruflich und persönlich entfalten können und sowohl Arbeitszeit als auch Bürostandort frei wählen können.
Das Arbeiten aus dem Homeoffice ist dank Digitalisierung problemlos möglich. Viele seiner Forderungen sieht Bergmann in neuen Bürokonzepten umgesetzt, wie er in einem Interview 2018 resümierte: „In vielen Jobs und Branchen ist mein Appell, das zu tun, was wir wirklich, wirklich wollen, bereits Realität geworden. Es ist Teil der Unternehmenskultur. Ich bin so glücklich, dass sich das geändert hat.“
Arbeiten im urbanen Regenwald
Namhafte Großkonzerne wie Google und Apple haben sich in den letzten Jahren das Wohlbefinden ihrer Mitarbeiter auf die Fahnen geschrieben. Sie investieren sehr viel Geld in eine atmosphärische Wohlfühl-Oase, die Studien zufolge Kreativität und Innovation begünstigt und Stress minimiert. Dazu werden Rutschen eingebaut, Radwege angelegt, Chill-out-Lounges eröffnet und tropische Wälder gepflanzt.
Alexa, öffne die Spheres!
Jeff Bezos, CEO von Amazon
Ein derartiges Wellness-Office wurde letztes Jahr von Amazon in Betrieb genommen. Amazon-Chef Jeff Bezos eröffnete den Gebäudekomplex im Frühjahr 2018 mit den magischen Worten: „Alexa, öffne die Spheres!“ In diesen Spheres im neuen Headquater von Seattle wurden 40.000 Pflanzen gesetzt, die von botanischen Gärten aus über 40 verschiedenen Ländern eingeflogen wurden. Angestellte des Onlineversandhandels haben freien Blick auf einen Wasserfall und können sich zur Besprechung in eines der Baumhäuser in luftiger Höhe zurückziehen. Für größere Meetings steht ein Konferenzraum bereit, der von einem wahrhaften Dschungel umgeben ist.
Der Entwurf für die drei Glaskuppeln stammt vom internationalen Architekturbüro NBBJ. Der neue Arbeitsplatz sollte eine direkte Verbindung zur Natur schaffen und Verweise zu historischen Wintergärten wie die Londoner Kew Gardens herstellen.
Die Menschen sollen dazu bewegt werden, kreativer zu denken. Vielleicht kommen die Mitarbeiter auf neue Ideen, die sie in einem normalen Büro nicht gehabt hätten.
Eine grüne Umgebung, so die Annahme, würde beim Arbeiten auf ganz besondere Weise inspirieren. „Die Menschen sollen dazu bewegt werden, kreativer zu denken. Vielleicht kommen die Mitarbeiter auf neue Ideen, die sie in einem normalen Büro nicht gehabt hätten“, sinniert Dale Alberta, führender Architekt des Projektes. Der Raum biete eine dynamische Lernumgebung sowohl für Mitarbeiter als auch für Besucher von außerhalb. „Hier lässt sich immer etwas Neues entdecken“, heißt es in der Projektbeschreibung.
Eine der größten Herausforderungen bei dem Großprojekt waren die klimatischen Verhältnisse in den Glaskuppeln. Sie sollten den Mitarbeitern tagsüber ein angenehmes Raumklima bieten und zugleich auch den Ansprüchen der tropischen Pflanzen gerecht werden. Deshalb herrscht in The Spheres am Tag eine Temperatur von 22 Grad Celsius bei einer Luftfeuchtigkeit von 60 Prozent, während in der Nacht auf 12 Grad abgekühlt und die Luftfeuchtigkeit auf 80 Prozent hochgeschraubt wird.
Grüne Ideen mit Zündstoff
Eine der Ideen, auf die die Amazon-Mitarbeiter in ihrer grünen Oase nun kamen, stieß bei den Shareholdern auf wenig Anklang. Über 7.500 Angestellte unterzeichneten eine Resolution, in der sie vom Konzern strengere Klimaauflagen fordern. Das „nein“ der Shareholder zum grünen Bekenntnis wollten die firmeninternen Klimaaktivisten nicht akzeptieren und veranstalteten einen Streik in Solidarität mit Greta Thunbergs „Friday for Future“-Bewegung. Auf einem der Demoplakate war zu lesen: „Spheres sind cool, aber darin leben wollen wir nicht.“
Text: Gertraud Gerst
Fotos: Getty Images, Flicker (Evan Chakroff), Amazon