Barcode für die Zukunft
In Amsterdams Hafengebiet ist mit dem Alliander Westpoort ein Büro- und Gewerbe-Areal entstanden, das die Holzbauweise feiert. Sein Grundriss unterliegt einer rhythmischen Codierung, die das Ensemble zu einer resilienten Einheit verschweißt.
Die Stadtentwicklung in Amsterdam ist seit vielen Jahren von der Not geprägt, fehlenden Wohnraum zu schaffen. Nachdem der einst florierende östliche Hafen von Amsterdam seine ursprüngliche Funktion verloren hatte, transformierte man das Gebiet ab den 1990er-Jahren in ein Wohnviertel. Die eklatante Lücke, die es am Wohnungsmarkt zu füllen gilt, machte auch vor der Erschließung des Wassers nicht Halt. Auf künstlichen Inseln entstanden eindrucksvolle neue „Wohnschiffe“ wie das Sluishuis des dänischen Star-Architekten Bjarke Ingels.
Auch in anderen Stadtvierteln war man auf der Suche nach Möglichkeiten der Nachverdichtung. Der niederländische Gas- und Stromnetzbetreiber Alliander, der über 100 Jahre im südlichen Stadtviertel Amsterdam Amstel angesiedelt war, verlegte seinen Standort ins westliche, industrielle Hafengebiet, um Platz zu machen für den lang ersehnten Wohntraum so mancher Stadtbewohner.
Doch der Umzug hat auch dem Energieunternehmen einen deutlichen Mehrwert gebracht. Das neue Büro- und Gewerbeareal mit dem Namen Alliander Westpoort setzt auf Nachhaltigkeit, Flexibilität und Resilienz. Der preisgekrönte Entwurf stammt vom niederländischen Büro De Zwarte Hond und bietet einen Standort, der ESG-konform ist und sich bestmöglich anpassen lässt, für den Fall, dass sich die betrieblichen Anforderungen in Zukunft ändern.
Dem industriellen Erbe verbunden
Schon auf den ersten Blick macht das neue Gelände klar, dass man sich dem industriellen Erbe des Hafens verbunden fühlt. Die Fassaden des Gebäude-Ensembles bestehen aus rostbraunem Cortenstahl. „Der Entwurf weckt somit Erinnerungen an die Hochblüte der Industriearchitektur, hat jedoch einen zugrunde liegenden Nachhaltigkeitsanspruch, der ganz auf die Zukunft ausgerichtet ist“, heißt es von Seiten des Architekturbüros De Zwarte Hond.
Der Entwurf weckt Erinnerungen an die Hochblüte der Industriearchitektur, hat jedoch einen zugrunde liegenden Nachhaltigkeitsanspruch, der ganz auf die Zukunft ausgerichtet ist.
De Zwarte Hond, Architekturbüro
Die bewitterte Oberfläche ist dabei nicht nur ein Zugeständnis an den Genius Loci, sondern auch eine reale und sinnbildliche Geste der Widerstandsfähigkeit. Die Rostschicht verleiht dem Stahl nämlich eine dichte Sperrschicht aus festhaftenden Sulfaten oder Phosphaten, die das Material vor weiterer Korrosion schützt. Auf diese Weise trotzen die einzelnen Bauteile den Elementen und sorgen dafür, dass sie möglichst lange erhalten bleiben.
Vielfältige Nutzung mit Entwicklungsspielraum
Alliander Westpoort ist von einer vielfältigen Nutzung geprägt. Es besteht aus einem Bürokomplex, einem Schulungsgebäude, Werkstätten, Lagerhallen, Teststationen und einem Parkhaus. Der Anordnung der einzelnen Bauteile auf dem Grundstück kommt dabei eine besondere Bedeutung zu.
Wie ein Barcode sind die Gebäude rhythmisch alternierend auf dem Grundstück angeordnet.
De Zwarte Hond, Architekturbüro
Anstatt die Fläche in einen bebauten und einen unbebauten Bereich zu teilen, tranchierten die Architekten das langgestreckte Baufeld in die einzelnen Nutzungsbereiche. Dazwischen ließen sie Freiräume, um einer künftigen Entwicklung Raum zu geben.
„Wie ein Barcode sind die Gebäude rhythmisch alternierend auf dem Grundstück angeordnet, wobei das Bürogebäude als Höhenakzent dient und von der A5 aus zu sehen ist“, erklärt das Architekturbüro mit Niederlassungen in Groningen, Rotterdam und Köln.
Niedriger CO2-Fußabdruck
Zwei der Bauteile – das Büro- und das Schulungsgebäude – sind als konstruktiver Holzbau errichtet. Die Bauweise soll für ein gesundes Arbeitsumfeld sorgen und zugleich die künftige Adaptierbarkeit der Räume gewährleisten. Das Parkhaus ist sogar so konzipiert, dass es je nach künftigem Mobilitätsbedarf wachsen oder schrumpfen kann.
Die gesamte CO2-Reduktion entspricht einem jährlichen Energieverbrauch von 5.600 Haushalten.
De Zwarte Hond, Architekturbüro
Durch die Holzbauweise sind in den beiden Gebäuden 1.195 Tonnen CO2 langfristig gespeichert. Zugleich habe man 1.434 Tonnen CO2 eingespart, indem auf das Bauen mit Stahl und Beton verzichtet wurde. „Zusammen entspricht dies einem jährlichen Energieverbrauch von 5.600 Haushalten oder 33 Millionen Kilometer, die ein durchschnittliches Auto zurücklegt“, wie das Architekturbüro vorrechnet. Indem man wiederverwendete Baumaterial eingesetzt hat, konnte man zudem die Baukosten reduzieren und dabei einen Beitrag zur Kreislaufwirtschaft leisten.
Freiräume für Mensch und Tier
Dass der neue Standort von Alliander im Betrieb energieneutral und komplett frei von fossilen Rohstoffen ist, ist heute für einen Neubau schon State of the Art. Damit sich am Industriestandort auch Insekten, Vögel und andere Tiere wohlfühlen, hat man in eine biodiverse Landschaftsplanung investiert. Das Grün sprießt nicht nur zwischen den Gebäuden und auf den Dächern, auch an den senkrechten Sonnenblenden der Fassade ranken sich Pflanzen empor.
Mit seinem Fokus auf Nachhaltigkeit, Langlebigkeit und Adaptierbarkeit haben Bauherrschaft und Architekten einen Industriestandort mit Weitblick geschaffen. Denn je langfristiger und flexibler man heute plant, desto mehr Wertschätzung wird den eingesetzten Ressourcen entgegengebracht. Wenn sich die Stoffkreisläufe dann am Ende nahtlos schließen, ist der Auftrag der Zirkularität erfüllt. Und dieser regenerative Ansatz muss allen Neubauten eingeschrieben sein, wenn man es mit den Klimazielen ernst meint. Er ist so etwas wie der Barcode für die Zukunft.
Text: Gertraud Gerst
Fotos: ScagliolaBrakkee, Eva Bloem, Jacques Tillmanns