Von Shashmaqom bis Ziegelstein
In der usbekischen Hauptstadt Taschkent soll ein neues Wissenschaftszentrum gebaut werden: Alisher Navoi International Scientific Research Centre. Entwickelt vom Team Zaha Hadid Architects trägt es den Namen des Dichters Alisher Navoi – was aber hat die traditionelle Shashmaqom-Musik mit dem Bau des Zentrums zu tun?
Wirklich viel ist Europäern über Usbekistan üblicherweise wohl nicht bekannt. Dabei spielte der Binnenstaat in Zentralasien mit seiner Bevölkerung von mehr als 37 Millionen dank der Seidenstraße eine wichtige geschichtliche Rolle. Städte wie Samarkand, Buchara und Chiwa waren wichtige Knotenpunkte in der damaligen Zeit. Wirtschaftliche und kulturelle Zentren, die heute einen Teil des UNESCO-Weltkulturerbes darstellen. Die Einflüsse dieser reichen Vergangenheit sind bis heute in der Architektur sichtbar. So findet man im ganzen Land eine bauliche Mischung aus islamischen, persischen, türkischen und mongolischen Elementen.
Auch Taschkent war ein bedeutendes Handelszentrum entlang der Seidenstraße. Nachdem die Architektur der heutigen Hauptstadt Usbekistans allerding stark von der sowjetischen Herrschaft geprägt ist, sind die Verantwortlichen seit längerem bemüht, auch Taschkent wieder zu einer (baulich) diverseren Kulturdestination zu machen.
Eines der neuen Projekte wird von Zaha Hadid Architects (ZHA) im Stadtteil Neu-Taschkent umgesetzt. Ein multidisziplinäres Zentrum für usbekische Kultur und Bildung mit dem Namen Alisher Navoi International Scientific Research Centre. Benannt nach Alisher Navoi (Mir ʿAli Schir Nawāʾi, 1441 bis 1501). Der Dicher wird in Usbekistan als Volksheld verehrt; er gilt sogar als Begründer der klassischen usbekischen Literatur und schrieb hauptsächlich in tschagataischer Sprache – einer Vorläuferin des modernen Usbekisch.
Von hohlen Bögen und Kaminen
Insgesamt sollen im Alisher Navoi International Scientific Research Centre auf 23.000 Quadratmeter das Navoi State Museum of Literature, ein Hörsaal mit 400 Sitzplätzen, ein Forschungszentrum untergebracht werden. Auch eine Internatsschule ist geplant, die sich auf die usbekische Sprache, Literatur und Musik spezialisiert.
Um den Energieverbrauch zu minimieren, wird das Zentrum als Passivgebäude mit hoher thermischer Masse geplant, die dafür sorgt, das die Temperatur im Inneren stabil bleibt.
Darüber hinaus wurde eine natürliche Klimaanlage erdacht: Hohle Bögen im Gebäude fungieren als Kanäle, die kühle Luft in die Innenräume weiterleiten. Bei Windstille wirken sie aufgrund eines Druckgefälles wie Kamine, die warme Luft nach oben leiten. An der Spitze der Bögen befinden sich Öffnungen, aus denen die Hitze ins Freie entweicht.
Zudem helfen Ventilatoren und Sprühsysteme dabei, die Luft, die in die Innenräume gelangt, zu kühlen. Die Innenhöfe des Zentrums werden so geplant, dass die Luftzirkulation optimiert wird. Und so, dass natürliches Licht die Innenräume ideal erhellt. Und auch beim Baumaterial steht Nachhaltigkeit im Fokus. Um den CO₂-Fußabdruck gering zu halten, soll ein lokales Werk in Taschkent die Ziegel für den Bau produzieren.
Ein klingender Garten
Der Garten des Bildungszentrums ist von der traditionellen Shashmaqom-Musik inspiriert. Einem Genre, das besonders in Usbekistan und Tadschikistan vorkommt. Ein bedeutendes kulturelles Erbe, das wird oft bei traditionellen Festen und Zeremonien aufgeführt wird. Die Musik kombiniert basiert vokale und instrumentale Elemente, sie basiert oft auf den spirituellen Inhalten des Sufismus. Die Musik besteht aus sechs Hauptteilen, den Maqoms – worauf der Name Shashmaqom basiert.
Der Außenbereich Alisher Navoi International Scientific Research Centre lehnt sich daran an. Er ist mit offenen Amphitheatern, schattigen Pavillons und terrassierten Gärten für interne und öffentliche Aktivitäten gestaltet. Durch Außenräume, die sowohl für geplante als auch für improvisierte künstlerische Aktivitäten geeignet sind, wird die lebendige und interaktive Natur der Shashmaqom-Musik in die physische Struktur des Zentrums übertragen.
Das Alisher Navoi International Scientific Research Centre wird nicht das einzige Projekt in Neu-Taschkent bleiben. In dem 25.000 Hektar großen Stadtentwicklungsgebiet im Osten der Hauptstadt sollen in den nächsten Jahrzehnten neuer Wohnraum, Universitäten und Verwaltungsgebäude entstehen.
Text: Resi Reiner
Bilder: ZHA