Architektur der Achtsamkeit
Bei der Konzeption des Aethos Ericeira Hotel auf einer 40 Meter hohen Klippe Portugals beweisen die Architekten von Pedra Silva Arquitectos, dass Achtsamkeit nicht bloß unter uns Menschen eine Rolle spielt.
Weiß getünchte Häuser. Liebevoll gepflasterte Straßen. Die Wellen des atlantischen Ozeans brechen mitunter so gleichmäßig hoch, dass Surfer seit Jahrzehnten die sanften Sandstrände Ericeiras für sich beanspruchen. Kurz gesagt: Das idyllische Fischerdorf an der portugiesischen Westküste ist an Charme nur schwer zu überbieten.
Ein besonderes Fleckchen Erde
Und genau über diesem kleinstädtischen Kleinod hat das in Lissabon ansässige Architekturbüro Pedra Silva Arquitectos gemeinsam mit dem spanischen Designstudio Astet nun ein ganz besonderes Luxushotel entwickelt. Eines, das den besonderen Flecken Erde nicht stören, sondern bereichern soll. Und vor allem eines, dessen temporäre Einwohner von der prachtvollen Umwelt regelrecht aufgefangen werden sollen.
Keine ganz einfache Aufgabe, betont Benjamin Habbel, Managing Partner von Aethos Hotels. Schließlich ging es von vorherein darum, auf einer über Ericeiras liegenden 40 Meter hohen Klippe ein großes Hotel mit 50 Zimmern zu etablieren, das trotz seiner Dimension nicht zu dominant wirken sollte. Der größte Vorteil für die Planer lag darin, dass kein reiner Neubau notwendig war. Vielmehr galt es, auf einer bestehenden Substanz aufzubauen.
Schlechter Zustand, gute Chancen
„Das Gebäude, ein ehemaliges Bauernhaus, das zu einem Reha-Zentrum umfunktioniert wurde, war seit vielen Jahren verlassen“, sagte Habbel. Dann holt er aus: „Als wir auf das Grundstück stießen, wussten wir sofort, dass es sich um eine einzigartige Gelegenheit handelte – ein abgelegenes Ziel auf einer hohen Klippe, umgeben von üppigen Feldern und mit einem unvergleichlichen Blick auf den Ozean. Trotz seines schlechten Zustands sahen wir ein riesiges Potenzial“.
Gleichzeitig war allen Beteiligten von vornherein klar, dass hierbei besondere Achtsamkeit gefragt war. Einerseits aus Respekt vor der Gegend und den hier lebenden Menschen, andererseits aus der Idee, die dem Hotel selbst innewohnen sollte, sobald es eröffnet war: Wie bei den anderen Häusern der Aethos-Hotelgruppe sollte auch bei Aethos Ericeira die Achtsamkeit der Gäste gefördert werden. Und zwar, indem Räume und Erlebnisse angeboten werden, die auf das individuelle Wohlbefinden ausgerichtet sind. Und eben nicht auf lauten Chic und schweren Pomp.
Achtsamkeit! Aber wie?
Spoiler: Heute heißt es ganz offiziell, „mit Fokus auf körperliches und geistiges Wohlbefinden richten sich die Erlebnisangebote von Aethos sowohl an den Bedürfnissen moderner Luxusreisender als auch an der Surfer-Community aus: Neben einem beheizten Salzwasserpool, einer Sauna und einem Whirlpool umfasst der Spa-Bereich ein Hamam, Behandlungsräume sowie einen Fitnessraum mit Produkten der schwedischen Bio-Marke Under Your Skin.“ Die Übung scheint also gelungen zu sein. Stellt sich die Frage: Wie?
Pedra Silva Arquitectos sagen: „Unser Entwurf bezieht sich auf die Umgebung. Er verbindet Bezüge zur ländlichen Landschaft mit Elementen der Surfkultur und nutzt auch die Aussicht von oben auf den Ozean.“ Wer das fertige Objekt kennt, kann diesen Satz vielleicht so dechiffrieren: Eine erdige Farbpalette referenziert auf die umgebende Landschaft und lässt das Objekt mit ihr verschmelzen. Große Fenster, einfaches Mobiliar tragen dazu bei, eine Umgebung zu schaffen, in der sich die Hotelgäste mit der Umgebung verbunden fühlen können.
Alt und Neu unter einem Dach
Dass dazu aber weit mehr gehört, als das offizielle Pressestatement vermittelt möchte, lässt Architektur-Studio-Gründer Luís Pedra Silva im Gespräch durchklingen: „Wir waren der Meinung, dass die Lösung darin bestand, eine klare Unterscheidung zwischen Alt und Neu zu schaffen. Das gelang uns, indem wir das bestehende Gebäude wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurückversetzten und den neueren Erweiterungen und Neubauten ihren eigenen Charakter gaben.“
Hierbei galt es schließlich zwei unterschiedliche Ansätze zu finden, die miteinander ein gelungenes Ganzes ergeben sollten. Die neuen Bereiche des Aethos Ericeira Hotel sollten zeitgemäß wirken aber dennoch mit der alten Struktur harmonieren. Die alten Bereiche wiederum durften nicht zu sehr verändert werden, um den bestehenden Charme nicht zu verlieren. Auch hier war offensichtlich besondere Achtsamkeit gefragt.
Abbruch mit dem Skalpell
Silva: „Wir erreichten dies, indem wir eine starke Materialität mit chirurgischen Abbruchmaßnahmen kombinierten. Wir entfernten einige Schrägdächer und öffneten die Balkone. Das ermöglichte uns, die Fassaden in klarere Formen und spezifischere Räumlichkeiten zu verwandeln.“
Infolge dessen wurde die Schlichtheit des alten Bauernhauses erhalten. Es wurde mit hell verputzten Wänden, einem Dach aus Tonziegeln, gewölbten Nischen und vorspringenden Kastenfenstern versehen. Andere Teile des Gebäudes hat man wiederum mit Holzlatten und Metallverkleidungen modernisiert.
Warme Materialien mit kalter Garnitur
Dieser nach außen ersichtliche Zugang musste natürlich auch von den für das Interior verantwortlichen Designern von Astet verfolgt werden. Das Ergebnis: Es kommen vorwiegend warme Naturmaterialien wie Holz, Samt und Rattan zum Einsatz. Um diesen ausreichend Bedeutung zu verleihen, sind kühlere Oberflächen wie Marmor und Stein integriert. Schließlich sind es meist Gegensätze, die das ästhetische Empfinden wecken, statt es zu langweilen.
Doch hinter dieser Materialwahl steht zusätzlich eine Überlegung, die wiederum als Achtsamkeit interpretiert werden soll. Ala Zureikat von Astet sagt: „In Ericeira kann es sehr schön und sonnig sein. Aber es gibt auch einige Monate, in denen es windig und regnerisch ist. Deshalb war es unser oberstes Ziel, dass die Zimmer und Gemeinschaftsräume im Sommer funktionieren und im Winter gemütlich sind.“ Gleichzeitig wollte man nicht zu klischeehaft arbeiten. Heißt: Nur keine klassischen portugiesischen Fliesen! „Wir wollten einen raffinierteren Twist erreichen“, sagt er.
Besonders gut ist das im markantesten und wohl auch relevantesten Raum des Aethos Ericeira Hotel gelungen: In der Rezeption. Die original erhaltenen Bogenfenster, die modernen zartgrünen Fliesen und die großen Jalousien ergeben ein ganz besonderes Raumgefühl.
Verspiegelte Türen für mehr Meerblick
Ähnlich minimalistisch sind die Zimmer eingerichtet: gedämpfte Farben, sanfte Stoffe und warme Holzfußböden. Spektakulär: Die Zimmertüren sind lebensgroße Spiegel. So dass man, egal wo man sich im Raum aufhält, immer einen Blick auf das Meer hat. Eine Idee, die gewiss jeder Hotelgast mit besonderer Aufmerksamkeit registrieren wird. Auch eine Form von Achtsamkeit.
Text: Johannes Stühlinger
Bilder: Francisco Nogueira | PION Studio.