110 Meter Pariser Prachtboulevard
Die frühere Zentrale von Peugeot Citroën im Herzen von Paris hätte geschliffen werden sollen. Von der Stadt Paris wurde dagegen die Restrukturierung des Gebäudes gefordert. Dieses Ansinnen wurde vom Büro Baumschlager Eberle Architekten in die Tat umgesetzt.
Im September 2017 war Schluss. Nach knapp mehr als einem halben Jahrhundert verabschiedete sich die PSA-Group (Peugeot, Citroën, DS) damals von ihrem nahe des Arc d‘Triomphe und der Champs Elysees gelegenen, prominenten Hauptsitz. Adresse: 75, Avenue de la Grande Armée. Das Ende einer Ära. In der Geschichte von Peugeot. Und in der Geschichte der Architektur.
Zum Abschied ein Frühstück
Schon 2015 hatte Peugeot den mitten in Paris angesiedelten Unternehmenssitz an den Wohnbau- und Immobilien-Konzern Gecina verkauft, ihn aber als Mieter weiterhin genutzt. Auch diese Kapitel wurde schließlich geschlossen. Mit einem öffentlichen Frühstück verabschiedete sich Peugeot zwei Jahre später von dem historischen Firmensitz.
Seit dem Jahr 1966 war die noble Pariser Adresse die Heimat der Peugeot-Zentrale. Auch als das Unternehmen 1976 in die PSA-Group umgewandelt wurde, blieb das neuformierte Unternehmen dem Standort treu. Heute firmiert PSA, mittlerweile um diverse Auto-Marken angereichert, unter dem Konzernnamen Stellantis.
Die Architekten Louis, Luc und Thierry Sainsaulieu hatten das Bürogebäude, das zwischen 1963 und 1966 errichtet wurde, geplant. Nüchterne, aber zweckmäßige 60er-Jahre Architektur mit klaren Linien. Edel, würdevoll. Ein eleganter Block von 110 Metern Länge und tief nach hinten reichenden Verbindungs-Trakten zu dem zweiten, auf dem Grundstück weiter hinten angesiedelten Komplex.
Ein Komplex mit stadträumlicher Wirkung
Mit seiner aufgeräumten Schlichtheit wirkte das Grande Armée prägnant und authentisch. Diese Attribute haben bis in die Gegenwart Bestand. Besonders der sich über die gesamte Länge und mehrere Stockwerke ziehende, nach vorne durch eine Glasfront offene Schauraum verlieh dem Gebäude seine stadträumliche Wirkung. Eine Bühne für Fortschritt und Mobilität. Ein architektonisches Zeitzeugnis.
Dieses Wirtschaftswunder-Gebäude sollte ursprünglich der Abrissbirne zum Opfer fallen. Doch die Stadtregierung von Paris erhob Einspruch, wollte das architektonische Zeitzeugnis erhalten und forderte dessen Restrukturierung. Auch der Denkmalschutz der Seine-Stadt sprach sich gegen das Schleifen des Gebäudes aus.
„Ein Projekt der Restrukturierung ermöglicht es, die starke architektonische Geste zu intensivieren“, formulierten die Architekt:innen im Pariser Büro von Baumschlager Eberle Architekten (BEA) zu ihren Basisüberlegungen. BEA hatten den Zuschlag erhalten, um die grundlegende Idee in die Tat umzusetzen: Die ehemalige Peugeot-Zentrale zu renovieren, statt sie abzureißen und durch einen Neubau zu ersetzen. Der auf dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft beruhende BEA-Entwurf „sollte dem Areal eine neue Identität verleihen, einen öffentlichen Anlaufpunkt schaffen, die markante Fassadenstruktur erhalten – und: Wiederverwertung großschreiben“.
Wiederverwerten als besserer Weg in der Architektur
Baumschlager Eberle Architekten wollten mit der Grande Armée auch beispielhaft zeigen, dass gerade in unserer Zeit „ein Wieder- beziehungsweise Weiterverwenden der bessere Weg“ sein kann. Nicht nur, was den Ressourcenverbrauch betrifft. Sondern auch, um „ein Baudenkmal mit seinen spannenden architektonischen Elementen zu erhalten“.
Der Entwurf von Baumschlager Eberle Architekten zielt darauf ab, die bestehende Struktur zu belassen, während dem Gebäude durch den Umbau eine völlig neue Inhaltlichkeit verliehen wird. Die bestehenden Innenhöfe wurden zu einem öffentlich zugänglichen Garten und überdachten Platz umgestaltet. Die von der Technik befreiten Dächer wichen begehbaren Terrassen und Dachgärten für die Angestellten der Büros. Außerdem sollten die durch den Umbau und den im Inneren erfolgten Teilabriss gewonnen Materialien so weit als möglich für die Neugestaltung verwendet werden.
In den vergangenen Jahren erlebt das Prinzip der Wiederverwertung von Baumaterial als Teil der neuen Kreislaufwirtschaft eine Renaissance. Dabei ist das Projekt Grande Armée zukunftsweisend.
Baumschlager Eberle Architekten
Das 1984 in der Vorarlberger Gemeinde Lochau gegründete Büro ist heute an 15 Standorten in Europa und Asien vertreten. Seit dem Beginn sind Baumschlager Eberle Architekten für ihre nachhaltige Planung und Bauweise bekannt. So auch an der Grande Armée in Paris.
Die ursprüngliche Gebäudehülle der „Grande Armée – L1ve“, so der neue Name des Projektes, aus poliertem Beton und mit insgesamt neun Etagen blieb bestehen. Die Fassade an der prächtigen Avenue wurde auf heutigen Baustandard gebracht, ihre Struktur konnte erhalten werden. Den bereits vorhandenen Betonrahmen ergänzten die Architekt:innen mit neuen, auskragenden Boxen aus Bronze, die für Tiefe und Dynamik sorgen. Vertikale Bronzelamellen setzen auch in den sanierten Innenräumen und an der Innenhoffassade neue Akzente. Eine weiße Klinkerfassade am hinteren Gebäude schafft eine Verbindung zum früheren Industriestandort.
Schon die Fassade macht unser Konzept sichtbar: Technische Aktualisierung und sensible, gleichwohl markante Neuinterpretation der ursprünglichen Struktur.
Baumschlager Eberle Architekten
Die monumentale Galerie war schon zur Zeit von Peugeot einer der zentralen Bauteile des mächtigen Komplexes. Eine sakral anmutende Bühne zur Präsentation der jeweils aktuellen Modelle des ikonisch-französischen Autoherstellers. Eine kommerzielle Kathedrale der Wirtschaftswunderjahre und der Mobilität. In diesem imposanten Showroom konnten die Besucher einst spontan ein Auto kaufen.
Die gesamte Länge der Fassade an der Avenue de la Grande Armée wurde erhalten, so dass sich diese großflächige, lichtdurchflutete Lobby nun über 1.500 Quadratmeter erstreckt. Sie schafft Transparenz zwischen innen und außen, öffnet das Gebäude zur Pariser Prachtstraße und damit auch zur Stadt. Außerdem steigert ein solch monolithischer, großzügiger Raum natürlich den hohen Wiedererkennungswert des Gebäudes. Denn eines ist klar: Stadt findet im Parterre statt, weil sich dort die größte Zahl der Architekturkonsument:innen bewegt – die Passantinnen und Passanten.
Die vorhandene Betonstruktur bildet auch den Rahmen für ein innovatives Fenster-System, das nun wesentlich das markante Aussehen des Gebäudes prägt. Dabei wechseln schlichte Öffnungen mit Kasten-Fenstern ab, die mit unterschiedlichen Tiefen in die Betonstruktur gesetzt wurden. Drei zentrale Elemente der Architektur werden damit mustergültig umgesetzt: Rhythmus, Plastizität und eine selbst gewählte Ordnung, die für Harmonie und Eigenständigkeit sorgt. Aber auch den drei von Vitruv aufgestellten klassischen Prinzipien der Architektur Firmitas (Stabilität), Utilitas (Nützlichkeit) und Venustas (Anmut) wird mit dem gesamten Projekt „Grande Armée – L1ve“ genüge getan. Die prominente Pariser Adresse bekommt und behält damit ihre starke Physiognomie.
Neun Etagen an der Avenue Grande Armée sowie fünf Etagen an der rückwärtigen Rue Pergolèse beherbergen insgesamt 35.000 Quadratmeter Bruttogeschoßflächen, vorrangig für Büros. Dafür wurde die ursprüngliche Betonstruktur freigelegt. Nur wenige Materialen wie verschiedene Arten von Beton und Bronze bestimmen die aktuelle Inneneinrichtung. Holz und Stein für die Bodenbeläge sowie unterschiedliche Metalldecken stehen für die gezielte Materialwahl in den Details. Panoramalifte und ein monumentales Treppenhaus markieren im „Grande Armée – L1ve“ die Haupterschließung. Außerdem bietet das im Gebrauch aktualisierte Gebäude auf allen Ebenen viel Grün, großzügige Gärten, einen Sonnengarten auf dem Dach sowie im neunten Stock Panoramaräume, die in eine Dachterrasse übergehen.
Neben den Büros im gesamten Komplex sind im Erdgeschoss eine offene Galerie sowie ein Veranstaltungssaal mit 200 Sitzplätzen untergebracht.
90 Prozent Abrissmaterial wiederverwertet
Dank des von Baumschlager Eberle Architekten entwickelten und umgesetzten Konzepts der Kreislaufwirtschaft wurden zwar 5.615 Tonnen Baumaterial abgetragen, davon konnten jedoch 5.165 Tonnen wiederverwertet werden. Mehr als 90 Prozent des abgerissenen Baumaterials kamen so wieder zum Einsatz, beispielsweise wurden im Fußboden der Galerie mit ihren markanten Betonsäulen Granitsteine aus der Fassade des Originalgebäudes verarbeitet.
Die Avenue de la Grande Armée ist eine der Pariser Prachtstraßen und markiert die Grenze zwischen dem 16. und 17. Arrondissement. Sie bildet den vom Arc de Triomphe stadtauswärts führenden Teil jener zentralen Achse, die vom Louvre bis nach La Défense führt. Benannt ist dieser Prachtboulevard zu Ehren der Grande Armée der Napoleonischen Kriege.
Mit dem Umbau des Gebäudes an der Avenue de la Grande Armée ist es Baumschlager Eberle Architekten letztendlich auch gelungen, ein prominentes Vorzeigeprojekt dafür zu schaffen, dass auch in der Architektur ein Wieder- und Weiterverwenden der bessere Weg sein kann.
Prämiertes, wegweisendes Projekt
Das „Grand Armée – L1ve“ steht auch für ein Sanierungsprojekt, das die HQE-Zertifizierung für nachhaltiges Bauen mit der Bewertung „Außergewöhnlich“ erhalten hat. Der Ende 2022 finalisierte Umbau wurde außerdem mit dem Austrian Green Planet Building Award 2023 und bereits 2020 als „Best Futura Projekt“ mit dem MIPIM Award (Marché International des Professionnels de l’immobilier) in Frankreich prämiert.
Albert Sachs
Fotos: Baumschlager Eberle Architekten
Gecina/Cyrille Weiner
Peugeot Vorkriegs-Register