Wissens-Speicher für afrikanische Geschichte
Sir David Adjaye hat vor kurzem seinen Entwurf für die Thabo Mbeki Presidential Library in Johannesburg vorgestellt – ein Ort für kollektives afrikanisches Bewusstsein.
Die Architektur der Bibliothek ist etwas ganz Spezielles: Da ist zum einen die architektonische Umsetzung eines Bauwerks mit den ganz spezifischen Anforderungen, die das Bibliothekswesen mit sich bringt. Und zum anderen beherbergt eine Bibliothek immer – neben dem materiell in ihr aufbewahrten und physisch greifbaren Bestand – auch immaterielles Wissen, kollektives Gedächtnis und Bewusstsein.
So wird die neue Thabo Mbeki Presidential Library in Johannesburg, Südafrikas Hauptstadt, zu verstehen sein. Und die Metapher für das kollektive Gedächtnis des Kontinents, ein Zentrum für afrikanisches Bewusstsein, offenbart sich nicht nur in der Funktion des Gebäudes. Sondern auch im – von Star-Architekt David Adjaye subtil umgesetzten – Konzept und in der Form der Bibliothek.
Architektur ist eine soziale Kunstform. Es braucht den Input der Bürger, damit großartige Architektur entstehen kann. Sie entsteht, wenn man sich kulturell engagiert und zuhört.
David Adjaye
Der für seine gemeinschaftsorientierte Gesinnung und künstlerische Sensibilität bekannte Adjaye hat die Thabo Mbeki Presidential Library als Ort des Lernens, der Forschung, des Diskurses und des kulturellen Austauschs durchdacht – aber aus der afrikanischen Perspektive.
Hort afrikanischer Geschichte
Die neue Bibliothek erfüllt zahlreiche Funktionen: Museum, temporärer Ausstellungsraum, Forschungszentrum, Aufbewahrungsort spezieller Sammlungen, Auditorium, Zentrum für die Förderung von Frauen, Lesesaal, Shop, Cafeteria, digitaler Erlebnisraum, Lehr- und Seminarräume, Büroflächen sowie Archiv. In Letzterem wird man viele Dokumente und Artefakte rund um Mbekis Amtszeit sowie von anderen bedeutenden historischen Persönlichkeiten Afrikas finden. Mbeki war von 1999 bis 2008 Präsident von Südafrika.
Im Vorort Riviera gelegen weist schon das Erscheinungsbild der Bibliothek, mit Strukturen ähnlich jenen von Getreidespeichern, auf die Funktion von Wissen hin: als Keim für Verstehen, als Nahrung für Bildung. Und am Ende dieses Zyklus steht die reiche Ernte in Form von Bewusstsein und Identität.
2017 wurde Adjaye von Queen Elizabeth II. zum Ritter geschlagen. Das TIME Magazine zeichnete ihn als einen der 100 einflussreichsten Menschen des Jahres aus. Und kürzlich wurde Adjaye die RIBA Royal Gold Medal 2021 verliehen, ebenfalls von der Königin. Daneben ist er Empfänger des 27. Crystal Award des Weltwirtschaftsforums für seine „Führungsrolle im Dienste von Gemeinden, Städten und der Umwelt”.
Das gesamte Ensemble besteht aus acht zylindrischen Baukörpern. Ihre Kuppeln sind mit nach dem Sonneneinfall ausgerichteten unterschiedlichen Öffnungen versehen. So kann der Lichteinfall auch thematisch dirigiert werden. Jeder der „Speicher” widmet sich einem bestimmten Thema. Sie sind miteinander durch den öffentlichen Raum verbunden, der Raum unterirdisch wird durchgehend genutzt.
Lokale Materialien
Für den Bau werden lokale Materialien verwendet: Lehm für die Stampflehmfassade, Holz für die Verkleidungen, Stein für die Terrazzoböden. So werde der Kohlenstoffausstoß des Projekts erheblich reduziert, wie es bei Adjaye Associates heißt. Die Photovoltaikpaneele auf den Dächern nutzen die dank des subtropischen Hochlandklimas vorhandene Sonnenenergie.
Insbesondere die Stampflehmkonstruktion mit ihren verdickten Wänden stellt eine hohe thermische Masse dar. Sie nimmt tagsüber die Wärme auf und gibt sie nachts wieder ab. Dies trägt dazu bei, die Temperatur des Gebäudes passiv zu regulieren und so die Abhängigkeit von mechanischer Kühlung und Heizung zu verringern.
Text: Linda Benkö
Renderings: Adjaye Associates