Pekings Wald des Wissens
Snøhetta hat eine Bibliothek entworfen, die neue Maßstäbe setzt. Und zwar sowohl in Sachen Technologie, als auch in sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit. Optisch wirkt das Projekt, das jetzt in Peking wächst, wie ein lockender „Wald des Wissens“.
Während Sport-Fans die XXIV. Olympischen Winterspiele verfolgen, geht an deren Austragungsort ein faszinierendes Bauwerk seiner Fertigstellung entgegen: Eine zukunftsorientierte Bibliothek, die deutlich mehr zu bieten hat als herkömmliche Büchereien. Denn das norwegische Erfolgsbüro Snøhetta will mit diesem Neubau neue Standards setzen: Pekings neue, öffentliche Sub-Center Library ist als sozial und ökologisch nachhaltiges Projekt konzipiert. Das Design macht sie zu einem „Wald des Wissens“. Zu einem Ort, der geradezu zum Lernen, zu Informationsaustausch und Diskussion einlädt.
Selbsttragende Glasfassade
2018 als Sieger aus dem internationalen Wettbewerb hervorgegangen, hat Snøhetta die Gestaltung des Bibliotheksgebäudes übernommen. Architektur-, Landschafts- und Innendesign wurden gemeinsam mit dem lokalen Partner ECADI erarbeitet. Und die 2020 begonnenen Arbeiten gehen zügig voran: Im Jänner 2022 wurde die bis zu 16 Meter hohe Glasverkleidung installiert. Mit dem eleganten „Wald des Wissens“ entsteht das erste selbsttragende Glasfassadenprojekt Chinas. Und läuft alles nach Plan, wird es schon Ende 2022 fertig für seine feierliche Eröffnung sein.
Die Bibliothek soll Pekings Erbe und Kulturgeschichte würdig präsentieren. Und zwar in den Bereichen Wissenschaft und Kunst. In diesem Sinne haben die Snøhetta Architekten einen weitläufigen Gemeinschaftsraum als Zentrum des Gebäudes vorgesehen. Dieser wird durch eine markante, skulpturale Lese- und Lernlandschaft hervorgehoben, die sich durch die gesamte Bibliothek erstreckt. Hier sollen Besucher zusammenkommen können – räumlich ebenso, wie intellektuell.
Verbindendes Leseparadies
Die große Leselandschaft ist dazu gedacht, leichten Zugang zum dargebotenen Wissen zu bieten. Und ihre Offenheit sorgt für ein Erlebnis, das übliche Bibliotheksgebäude vermissen lassen: Menschen aller Altersgruppen können sich hier in einem Raum, der an ein Amphitheater erinnert, einfinden und in angenehmer Atmosphäre austauschen. Ähnliche Zonen, die Interaktion fördern, gibt es auch in anderen Teilen des Gebäudes.
Die hochtransparente Fassade eröffnet freien Blick ins Innere der Bibliothek. Dies lädt Passanten ein, den „Wald des Wissens“ zu betreten. Ein zentrales „Tal“ bildet quasi das Rückgrat des Neubaus. Diesen Bereich hat das Snøhetta Team nicht nur als Hauptzirkulationszone von der Nord- zur Südseite des Gebäudes angelegt. Er dient auch als Verbindungsweg zu allen relevanten Räumen über und unter der spektakulären Leselandschaft.
Verzweigte Technik im „Wald des Wissens“
Aus der imposanten Leselandschaft ragen Säulen empor, die das flache Dach tragen. Man wähnt sich in einem Ginkgo-Wald, der außen auch ein Vordach bildet. Jede „Baumsäule“ ist allerdings auch eine Komponente der Gebäudetechnik. So ermöglicht Snøhettas Plan ein verzweigtes Techniksystem, das viele wichtige Funktionen steuert: Von Klimatisierung und Beleuchtung bis zu akustischem Komfort und Regenwasserentsorgung.
Die gestuften Ebenen und die waldähnliche Umgebung verleiten dazu, sich auf dem Weg durchs Gebäude immer wieder für eine Pause niederzulassen. Fast so, als würde man sich unter einen Baum setzen, um gemütlich im Lieblingsbuch zu schmökern.
Groß und klein zugleich
Unterm Vordach und im hohen, weitläufigen „Wald des Wissens“ verteilt Snøhetta zudem viele komfortable Erlebnisräume. Dort finden Besucher private, ruhige Plätze zum Lesen und Lernen, ohne sich dabei komplett vom größeren Gemeinschaftsbereich abzusondern. Dieses Konzept schafft ein Ambiente, in dem sonst allzeit klare Gegensätze verschwimmen: Die Räume des Neubaus sind offen, bieten jedoch auch angenehme Rückzugsorte. Besucher, die „privat“ bleiben möchten, sollen sich ebenso wohlfühlen, wie solche, die ihre Lektüre lieber umringt von Gleichgesinnten genießen. Strikt getrennte „Abteilungen“ oder Wissenskategorien wird es in Pekings neuer, architektonisch zukunftsweisender Bibliothek übrigens nicht geben.
Nachhaltigkeit hatte bei der Planung des Bibliotheksgebäudes oberste Priorität. So legten Snøhetta und Partner etwa größten Wert darauf, mit lokal verfügbaren Materialien zu bauen. Durch Verwendung modularer Komponenten mit einem rationalisierten strukturellen Raster wurde der Bedarf an individuellen Anpassungen sowohl für die Säulen als auch für das Dach reduziert.
Nachhaltigkeit, groß geschrieben
Das Dach verfügt über integrierte Photovoltaik-Konstruktionselemente (BIPV), die die herkömmlichen Dach- und Fassadenmaterialien ersetzen. Es nützt die Sonneneinstrahlung hocheffizient zur Erzeugung erneuerbarer Energie. Zugleich sorgt sein Überhang für den Schutz des Neubaus vor zu intensivem Licht und Sonnenhitze.
Die Höhe der Verglasung an den nach Osten und Westen gerichteten Fronten wurde verringert und an der Süd- und Westfassade ein aktiver Sonnenschutz installiert. Das Glas selbst ist eine Isolierglaseinheit mit Low-E-Leistung. Und weil Snøhetta dafür bekannt ist, in allen Details auf Umwelt- und Klimaschutz zu achten, darf man davon ausgehen, dass das Team dieses Ziel auch beim Projekt in Peking verfolgt.
Bibliotheken der besonderen Art
Pekings „Wald des Wissens“ ist nicht der einzige Bibliotheksneubau, mit dem das renommierte Büro Snøhetta beeindruckt. Sein grandios geschwungenes Leseparadies in Charlotte, im US-Bundesstaat North Carolina, soll 2024 fertig werden. In China indes muss es schneller gehen. Schon zum Jahreswechsel soll man in der neuen Pracht-Bücherei alles über Pekings Erbe und Errungenschaften nachlesen und lernen können. Sicher ist: Mit dem Design der neuen Sub-Center Library von Peking gibt Snøhetta neue Standards für künftige Bibliotheken-Bauten vor. Egal, wo sie errichtet werden und welche Art Lektüre sich dann in ihren Regalen findet.
Text: Elisabeth Schneyder
Bilder: Plomp