Tencent verpasst sich selbst eine Smart City
Der chinesische Internet-Titan Tencent plant sein nächstes Headquarter. Der „Tencent Campus“ wird eine Smart City mit mehr als 100 Gebäuden auf 133 Hektar Land, die sich wie eine hügelige Bergkette aneinanderreihen.
Die neue Tencent-Zentrale wurde zwar erst vor kurzem fertiggestellt und bezogen. Dennoch geben die Chefs des chinesischen Internet- und Technologie-Giganten, die beiden Gründer CEO Ma Huateng und Chief Technology Officer Zhang Zhidong, schon jetzt grünes Licht für das nächste neue Headquarter. Wobei – Headquarter ist untertrieben. Es soll gleich ein ganzer Campus, eine ganze Smart City, werden.
Tencent-Stadt in der Stadt
Die Ausschreibung hatte es in sich: Ein ganzes Stadtquartier auf 133 Hektar Land sollte geplant werden. In prominenter Lage in der Qianhai-Bucht im chinesischen Sonderverwaltungsdistrikt Shenzhen. Der neue Stadtteil soll logischerweise Büros umfassen, aber auch Wohnungen für die Tencent-Mitarbeiter, plus Gewerbeeinheiten und öffentliche Einrichtungen, Schulen und ein Konferenzzentrum.
Das niederländische Architekturbüro MVRDV hat einen interessanten Vorschlag geliefert. MVRDV reklamiert für sich, ein global operierender Lösungsanbieter für Architektur und Städtebau mit einem hohen, fortschrittlichen Anspruch zu sein. Leitgedanke für Tencent ist eine Smart City, die sich wie eine hügelige Bergkette um die Basis mäandert.
Um mit dem rasanten Wachstum des Unternehmens Schritt zu halten, hat Tencent 2018 unmittelbar nach Fertigstellung des derzeitigen Hauptsitzes in Shenzhen, den Tencent Seafront Towers, mit den Plänen für das neue Hauptquartier in der Qianhai-Bucht begonnen.
Schon die Tencent Seafront Towers waren aufsehenerregend und wurden prämiert (u.a. Zertifizierung nach LEED NC Gold und „CTBUH Award 2018” als bestes Hochhaus in Asien und Australasien). Das Projekt wurde vom US-basierten Architekturbüro NBBJ entworfen. Für das Interior Design war B+H Architects verantwortlich, die Fassadenkonstruktion wurde beratend begleitet durch Inhabit.
Der „Digital Player” wurde 1998 gegründet und ist aktiv bei sozialen Netzwerken, Instant-Messenger-Diensten, Online-Spielen, E-Commerce-Plattformen, Onlinewerbung sowie der Erbringung von Zahlungsdiensten, Cloud-Services und weiteren webbasierten Dienstleistungen. Dank des Messenger „Tencent QQ” wurde Tencent innerhalb weniger Jahre erster profitabler Internetkonzern Chinas. Tencent beschäftigt mehr als 60.000 Menschen und notiert seit 2004 an der Hongkonger Börse.
Tencent Campus: PV-Module machen Wellen
Insgesamt soll das neue Headquarter, der Tencent Campus, auf zwei Millionen Quadratmetern Nutzfläche alles für die bis Fertigstellung dann wohl 80.000 bis 100.000 Mitarbeiter bieten. Darüberhinaus ist der Auftrag auch in technologischer Hinsicht ehrgeizig.
Als Erweiterung des Leitbilds, das den Nutzen von Technologie auch im Alltag in den Vordergrund stellt, fordert Tencent, dass der neue Campus ein Muster-Stadtbezirk wird. Er soll das stadtverändernde Potenzial der neuesten urbanen Technologien beispielhaft demonstrieren.
Nutzfläche: 2.000.000 m²,
Status: Wettbewerb, Architekturbüro: MVRDV,
Partner: Winy Maas, Jacob van Rijs, Wenchian Shi
Projekt-Koordination: Jammy Zhu
MVRDV begreift den Tencent-Campus als einen Raster aus über 100 Gebäuden mit einem welligen Dach aus Photovoltaik-Modulen. Mehrere Brücken verbinden die jeweiligen Gebäude zu einer durchgehenden Oberfläche, die an eine Bergkette erinnert.
Konferenzzentrum als Fels
Am Fuße der Gebäude schlängelt sich ein Wasserpark entlang der gesamten Ostseite des Geländes in Richtung der Qianhai-Bucht. Die unteren Ebenen der angrenzenden Gebäude sind als Erweiterung zum Park hin zu begreifen. Denn sie sind in Form von begrünten Terrassen gestaltet. Im gesamten Park befinden sich viele öffentliche Gebäude des Bezirks, darunter eine Schule und ein Kindergarten, ein Sportzentrum und ein Rechenzentrum.
Am südlichen Ende des Parks befindet sich das bemerkenswerteste Gebäude auf dem Campus: Ein Konferenzzentrum in Form eines Felsens am Fuße der Hügel. Dieses Konferenzzentrum flankiert den Eingang zur Qianhai-Bucht. Gleichzeitig ist es ein Symbol für den globalen Einfluss von Tencent.
Unsere Einreichung zum Wettbewerb für Tencent ist der Versuch zu zeigen, dass die Smart City auch eine grüne Stadt ist.
MVRDV-Gründungspartner Winy Maas
Kugelförmiger Info-Platz
An einer Kreuzung des Straßengitters, im Mittelpunkt der Bürozone, befindet sich das „schlagende Herz“ des Projekts: Der Informationsplatz. Dieser kugelförmige Raum, der aus den Ecken der vier benachbarten Gebäude wie von einem Bildhauer herausgearbeitet wurde, zeigt Daten zum täglichen Funktionieren des Tencent-Campus an, etwa den Kohlenstoffverbrauch.
Eine weitere wichtige „Smart City-Intervention” sei laut MVRDV das Transportsystem für den Campus: Auf der Ostseite des Geländes bietet eine Autobahn Zugang zu vier Tiefgaragen. Das Straßennetz selbst ist jedoch autonom fahrenden Autos vorbehalten und bietet einer Shuttlebus-Kehre Platz. Mitarbeiter und Anwohner können sich so problemlos durch die Stadt in der Stadt bewegen. Darüber hinaus verkehren U-Bahn- und Buslinien am östlichen und westlichen Rand des Geländes, um den Tencent-Campus mit dem Rest von Shenzhen zu verbinden.
Die Smart-City-Elemente sind allgegenwärtig und gipfeln im futuristischen Datenzentrum im Herzen des Campus. Damit würden sich die Tencent-Mitarbeiter von Technologie dominiert fühlen. Sie sind aber auch buchstäblich von Natur umgeben: Der ,Serpentinenpark‘ ist von jeder Ecke fußläufig erreichbar, ringsum gibt es die grünen Terrassen.
MVRDV-Gründungspartner Winy Maas
Komplexes Forschungsprojekt
Im „making of” des Entwurfs für den Tencent Campus hat MVRDV ein komplexes Forschungsprojekt durchgeführt, um das optimale Design für einen modernen Technologie-Campus zu finden. Das Designteam entwickelte 28 verschiedene Erst-Entwürfe und ordnete sie in eine Art „Genealogie“ ein. Dieser Stammbaum zweigte sich in mehrere Evolutionsstränge auf, während dem das Team nach und nach Schlüsselanforderungen hinzuzugefügt hat.
„Alle Studien wurden dokumentiert und stellen eine Art Guideline für die Gestaltung und Aufrechterhaltung künftiger Smart Cities dar“, ergänzt MVRDV-Gründungspartner Winy Maas. Der endgültige Entwurf sei eine Synthese all dessen gewesen, was in diesem „iterativen Prozess gelernt wurde”. Er brachte so einen Tech-Campus hervor, der „vielfältig, flexibel, grün, dynamisch, offen, anpassungsfähig und vor allem visionär ist”.
Text: Linda Benkö
Fotos/Visualisierungen: Yijie Hu, Terrence Zhang, MVRDV, Atchain