Hans-Hollein-Kunstpreis für Schulbau-Experten
Das Wiener Architektur-Büro PPAG gilt als Spezialist für moderne Bildungsbauten. Und zwar über Österreichs Grenzen hinaus und mehrfach ausgezeichnet. Seine Konzepte machen im wahrsten Sinn des Wortes Schule. Jetzt wird das Team erneut geehrt: Mit dem Hans Hollein Kunstpreis für Architektur.
Am 25.November wird im Bundeskanzleramt der Österreichische Kunstpreis 2019 verliehen. Ein großer Tag für Kunstschaffende verschiedener Sparten. So dürfen sich heuer unter anderem Ashley Hans Scheirl (für Bildende Kunst) und Tatiana Lecomte (für künstlerische Fotografie) über die mit jeweils 15.000 Euro dotierte Auszeichnung freuen. Ebenso, wie das Wiener Büro PPAG, das in diesem Rahmen mit dem Hans-Hollein-Kunstpreis für Architektur geehrt wird.
Forscher und Innovatoren
Das 1995 von Anna Popelka und Georg Poduschka gegründete Büro konzentriert sich seit Jahren auf die Erforschung unterschiedlicher Bereiche und Dimensionen der Architektur. Die gewonnenen Erkenntnisse werden in mehreren Sparten genützt – vom Möbel- und Städte- bis zum Schul-Bau.
Das Credo der PPAG-Architekten lautet: „Zentrale Übung ist das abstrakte entwerferische Denken mit der Normalität der alltäglichen Benutzung in Einklang zu bringen. Unser Ziel: die Architektur für uns und für die Allgemeinheit weiterzubringen“.
Wer etwa ab und zu die „Enzis“ – also die bunten Hofmöbel – im Wiener Museumsquartier (MUQUA) „be-sitzt“, kennt ein Ergebnis dieser Philosophie schon aus der Praxis. Denn es war das PPAG-Team, das die inzwischen legendären Sitzgelegenheiten 2002 fürs MUQUA designte und seitdem alljährlich weiterentwickelt.
Idee dahinter sei es gewesen, ein „Volksmöbel für alle“ zu schaffen, erklären die Kunstpreis-Träger. Eines, das Freude macht – beim Betrachten UND Benützen. Zum Beispiel auch, wenn man sich nicht allein zum Plaudern, sondern zum Lernen darauf niederlässt.
Gefragte Schulbau-Spezialisten
Und damit sind wir bei einem Kernthema der PPAG-Architekten: Dem Bau von Bildungseinrichtungen – von Schulbauten, die ein optimales Umfeld für Lernen und Lehren bieten. Denn in diesem Bereich gelten die jetzigen Hans-Hollein-Kunstpreisträger über Österreichs Grenzen hinaus als gefragte Experten.
Beispielgebende Projekte
Gut 30 Schulprojekte hat das Team in den vergangenen zehn Jahren erarbeitet. Darunter Pilotprojekte wie den Bildungscampus Sonnwendviertel in Wien. Dieser ließ mit seiner offenen Bildungslandschaft aus Clustern und Marktplätzen althergebrachte Schulbau-Vorstelllungen von Gängen und Klassenzimmern weit hinter sich.
2018 präsentierte das Team in der Ausstellung „Von der Neuen Schule“ an der Architekturgalerie Berlin den Stand seiner Forschung an der Schnittstelle von Architektur und Pädagogik. Dafür, dass die Konzepte der Bildungsbau-Spezialisten überaus erfolgreich sind, gibt es inzwischen viele Beispiele.
Schulhäuser für modernes Lernen
So gewann PPAG 2017 den Wettbewerb für die Erweiterung der Volks- und Berufsschule in der Wiener Längenfeldgasse. Und im März 2019 errangen die Architekten Platz eins mit einem verfeinerten Cluster-Modell für den Neubau der Sekundarschule an der Allee der Kosmonauten in Berlin-Lichtenberg.
Bildungsbauten, zukunftsfit & lebenswert
Auch das Konzept „Deutsche Schule Stiehle Cuenca“ (siehe auch Beitragsbild) geriet zum Sieger: Im Wettbewerb um einen Bildungsbau in der UNESCO-Weltkulturhauptstadt Cuenca in den südlichen ecuadorianischen Anden.
Ein spannendes Projekt, bei dessen Planung die Architekten außergewöhnliche Bedingungen zu bedenken hatten: Auf 2600 Metern Höhe, an einem Hang mit 56 Metern Steigung und in ländlichem Gebiet soll eine zukunftsfitte, klimagerechte Schule entstehen, die modernes Lernen mit Lebensqualität vereint.
Aktuelles Beispiel ist zudem ein innovativer Schulbau im kleinen, norwegischen Sauland in der Region Telemark: Die Gemeinde entschied sich gegen die Renovierung der sanierungsbedürftigen Schule. Diese entsprach noch der althergebrachten Typologie von Fluren, Klassenzimmern und Frontalunterricht.
Erfolgreiches Cluster-System
Gewünscht wurde ein Neubau, der den Anforderungen des 21.Jahrhunderts gerecht wird. Im Vordergrund: Freies Lernen und projektorientierter Unterricht. Den Zuschlag für dieses größte Neubauprojekt der Gemeinde seit 20 Jahren erhielt ein in Kooperation von PPAG Architects und den norwegischen Architekten Helen & Hard entstandenes Siegerprojekt.
Innovativer Schulbau aus Holz
Für dieses wurden österreichisch-internationale Schulbau-Expertise und skandinavische Holzbau-Technik kombiniert. Ebenso, wie jahrelang weiterentwickelte Raumstruktur und Cluster-System: Ein polygonaler zentraler Raum, um den kleinere Räume „rotieren“. Popelka und Poduschka: „Es ist eine geometrische, räumliche, soziokulturelle und ökonomische Antwort für die Clusterschule“.
Die dörfliche Typologie prägt den Charakter der Schule. Die Größe der zweigeschossig übereinanderliegenden Unterrichtsräume entspricht den Holzhäusern in der Umgebung. Die Begriffe Vorder- und Rückseite verlieren an Bedeutung. Das Gebäude erscheint von jeder Richtung gleichwertig – freundlich, zugänglich, offen.
Raum für umfassende Bildung
Das bewährte Cluster-Modell wurde hier ungewöhnlich angewendet: Die gesamte Schule und ihre Fachräume sind quasi ein einziger Cluster – wie ein räumliches Sinnbild umfassender Bildung.
Der Raum vor den Klassen ist nicht einfach Pausenraum, sondern eine ganztags als zentrales Forum pädagogisch genutzte Fläche. Teile des Forums sind als Nischen für Kleinstgruppen ausgebildet und mit Glastüren abtrennbar.
Das Forum hat dank rotationaler Anordnung direkte Fenster nach außen. Auch die Bildungsräume beider Etagen haben unmittelbaren Zugang ins Freie. Das Konzept der Blickverbindungen setzt sich von außen nach innen fort: visuelle Verbindungen zwischen den Nutzungsbereichen schaffen die Grundlage für offenen Unterricht. Auch die große, breite Treppe inmitten des Forums wird pädagogisch genutzt.
Lernen mit Durchblick und Tageslicht
Die Bibliothek im Erdgeschoß dient einerseits als Erweiterung des Forums, andererseits als Verbindungselement zwischen Sekundarschule und Administrationsgebäude. Der Haupteingang im Erdgeschoß der Schule wird mit der angrenzenden Turnhalle geteilt. Diese wird auch für außerschulische Aktivitäten der Gemeinde genutzt.
Der Großteil der Schule und die Sporthalle sind in CLT (Cross Laminated Timber)-Massivholzplatten-Bauweise ausgeführt. Die atmosphärische Wirkung der Holzoberflächen soll die Kinder dazu anregen, das Gebäude anzufassen, auf Bauteilen zu sitzen oder zu arbeiten.
Schulbau als „Werkzeug“ der Pädagogik
Das Haus soll so zum Werkzeug der Pädagogik werden. Schallintensive Räume wie Werkstattbereiche und Musikproberäume sind in einem Betonkern untergebracht und durch die Sichtbetonoberfläche im Innenraum ablesbar. Die Fassade ist mit vertikalen Holzlatten verkleidet.
Für moderne Bildung konzipiert
„Das Haus strahlt ein Nutzungspotential aus, an dem niemand vorbeikommt,“ erklären PPAG. Das auf die örtlichen Gegebenheiten und modernes Lernen zugeschnittene Raumkonzept sei von den Pädagogen sofort wie selbstverständlich angenommen worden. Die überschaubare, dörfliche Größe des Schulbaus habe diese Vertrautheit zusätzlich gefördert.
Erfahrung und Expertise der PPAG-Architects in Sachen moderner Bildungsbauten sind gefragt. Natürlich auch, wenn es um Fachvorträge zum Thema geht. So werden Anna Popelka und Georg Poduschka etwa am 28. November 2019 bei der Konferenz „Bau und Betrieb von Bildungseinrichtungen“ in Wien referieren.
Kunstpreis in Wien & Ehrung in Berlin
Und Anna Popelka wird noch vor der Verleihung des Hans Hollein Kunstpreises eine andere Ehre zuteil: Am 13. November werden die PPAG-Gründerin und ihr Schaffen im Rahmen von „Architects, not Architecture – Die Menschen hinter den bekannten Architekturwerken“, Berlin Edition 04, ins Rampenlicht gestellt.
Text: Elisabeth Schneyder
Bilder: PPAG, Wolfgang Thaler